Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) setzt die Behandlung der Vorlage zur Anpassung der Hinterlassenenrenten bis zur Verabschiedung der Botschaft zur Volksinitiative «Ja zu fairen AHV-Renten auch für Ehepaare» aus. Sie wird die Hinterlassenenrenten anschliessend in einer Gesamtschau aller zivilstands- und geschlechtsabhängigen Leistungen der AHV beraten und hat dazu umfassende Abklärungen in Auftrag gegeben.

Mit 14 zu 11 Stimmen hat die Kommission beschlossen, die Behandlung der Vorlage des Bundesrates zur Anpassung der Hinterlassenenrenten (24.078) vorläufig auszusetzen. Sie möchte die zivilstands- und geschlechtsabhängigen Leistungen der AHV in einer Gesamtschau betrachten und wartet dafür die Botschaft zur Volksinitiative «Ja zu fairen AHV-Renten auch für Ehepaare» der Partei «Die Mitte» ab, welche der Bundesrat spätestens Ende März 2025 verabschiedet.

Mit der vorliegenden Reform will der Bundesrat die Hinterlassenenrenten stärker auf die Kinderbetreuungs- und Erziehungszeit ausrichten und dabei auch für nicht-verheiratete Personen öffnen. Lebenslange Renten sollen entsprechend abgeschafft werden. Die SGK-N anerkennt den Handlungsbedarf im Bereich der Witwen- und Witwerrenten und begrüsst die Anpassung des Systems an die gesellschaftliche Entwicklung grundsätzlich. Sie betont dabei, dass für aktuelle Rentenbezügerinnen und –bezüger eine gute Übergangsregelung gefunden werden muss. Die Kommission will die zivilstandsabhängigen Leistungen der AHV jedoch ganzheitlicher betrachten und sieht im Gegensatz zum Bundesrat keine zeitliche Dringlichkeit bei der Behandlung der Reform. Die aktuelle Regelung der Witwen- und Waisenrenten besteht seit der Einführung der AHV und wurde zuletzt 1997 angepasst, als die Witwerrente ergänzt wurde. In der Kommission ist unbestritten, dass die 2022 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gerügte Ungleichbehandlung von Männern und Frauen bei den Hinterlassenleistungen beseitigt werden muss. Als Reaktion auf das Urteil des EGMR gilt seither eine Übergangsregelung, die Witwer mit Kindern gleichstellt mit Witwen mit Kindern.

Für die weiteren Beratungen hat die Kommission die Verwaltung mit Abklärungen und Berechnungen beauftragt. So sollen unter anderem die aktuellen Privilegien für Ehepaare und Möglichkeiten einer zivilstandsunabhängigen Alters- und Hinterlassenenvorsorge aufgezeigt, die Situation von hinterlassenen betreuenden Angehörigen analysiert sowie die Auswirkungen des vorliegenden Entwurfs auf verwitwete Frauen im Rentenalter dargelegt werden.

Zum Auftakt der Beratungen hat die Kommission Vertretungen der Betroffenen und der Sozialpartner angehört. Sie wird die Behandlung der Vorlage voraussichtlich im zweiten Quartal 2025 wiederaufnehmen. Über das weitere Vorgehen der parlamentarischen Initiativen 21.416 und 22.426 wird die SGK-N ebenfalls im Rahmen dieser Arbeiten befinden. Sie beantragt daher einstimmig, die Frist zur Umsetzung der pa. Iv. 21.416 zu verlängern.

Neue Leistungen für Hilfe und​ Betreuung zu Hause im Rahmen der Ergänzungsleistungen 

Die Kommission hat die Vorlage zur Änderung des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung betreffend die Leistungen für Hilfe und Betreuung zu Hause (24.070) in der Gesamtabstimmung mit 17 zu 8 Stimmen angenommen.

Die Vorlage sieht neue Leistungen für die Betreuung zu Hause und Zuschläge für die Anpassung von Wohnungen vor, um die Autonomie älterer Menschen sowie von IV-Rentnerinnen und Rentnern mit EL zu stärken und diesen das Wohnen im eigenen Zuhause zu ermöglichen. Die Kommission begrüsst im Allgemeinen die vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen. Sie beantragt jedoch mehrere Anpassungen, mit denen die Praxistauglichkeit und somit die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Massnahmen erhöht werden soll.

Die SGK-N beantragt mit 12 zu 12 Stimmen und Stichentscheid der Präsidentin, in der Bestimmung zu den neuen Leistungen für Hilfe und Betreuung zu Hause (Art. 14a) zu präzisieren, dass diese auch den psychosozialen Aspekt der Betreuung und nicht nur körperliche Einschränkungen berücksichtigen müssen. Gleichzeitig erlaubt der gewählte Wortlaut den Kantonen, der Vielfalt der Betreuungsbedürfnisse Rechnung zu tragen. Mit 17 zu 8 Stimmen folgt die Kommission dem Vorschlag des Bundesrates, die Leistungen für Hilfe und Betreuung zu Hause über monatliche Pauschalen und nicht nach den effektiven Kosten zu vergüten. Sie möchte jedoch, dass die Kantone selbst entscheiden können, ob sie eine individuelle Pauschale für jede Leistung oder eine allgemeine Pauschale festlegen (mit 13 zu 12 Stimmen), wobei diese wie vom Bundesrat vorgeschlagen den Mindestbetrag von 11 160 Franken pro Jahr nicht unterschreiten darf (mit 17 zu 8 Stimmen gegen Anträge, den Betrag zu erhöhen).

Beim Zuschlag für die Miete eines Zimmers, falls eine Nachtassistenz benötigt wird, spricht sich die Kommission mit 13 zu 12 Stimmen für den vom Bundesrat festgelegten Betrag von 270 Franken pro Monat (Stand 2024) aus. Sie beantragt jedoch mit 14 zu 10 Stimmen, dass alle Bezügerinnen und Bezüger diesen Zuschlag erhalten, wenn mehrere Nachtassistenzpersonen im selben Haushalt notwendig sind. Der Bundesrat sieht in seinem Entwurf vor, dass der Zuschlag für die Miete einer rollstuhlgängigen Wohnung auch bei mehreren Bewohnerinnen und Bewohnern, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, nur einmal pro Haushalt gewährt wird. Die Kommission beantragt hingegen einstimmig, dass bei mehreren Personen mit Rollstuhl in derselben Wohnung maximal der doppelte Zuschlag möglich ist.

Mit 13 zu 12 Stimmen hat die Kommission beschlossen, dass die Kantone beim Tod von im Heim oder im Spital lebende Bezügerinnen und Bezügern den gesamten Monatsbetrag der Ergänzungsleistungen (EL) ohne Abzug der von der Einrichtung nicht in Rechnung gestellten Tage auszahlen dürfen. Auf diese Weise müssen die Kantone den Erbinnen und Erben keinen Rückerstattungsantrag mehr stellen. Sie unterstützt somit das Ziel der pa. Iv. Roduit. Tod in Heimen und Rückerstattung von Ergänzungsleis​tungen. Teure und ärgerliche Verwaltungsverfahren einstellen (22.442).

Um für EL-Bezügerinnen und -Bezüger Anreize für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu schaffen, beantragt die Kommission mit 12 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung, den Freibetrag beim anrechenbaren Einkommen zu verdoppeln (Art. 11 Abs. 1 Bst. a ELG).

Weitere von der Kommission beantragte Änderungen betreffen die Verpflichtung der zuständigen Behörde, den Begünstigten den Eingang eingereichter Dokumente zu bestätigen (einstimmig), sowie die Pflicht der Kantone, das elektronische Einreichen von Anträgen und Dokumenten zu ermöglichen (mit 24 zu 1 Stimmen). Die Kommission verlangt zudem einstimmig, dass die Kantone bei der Bearbeitung eines EL-Rückerstattungsantrags für Krankenkassenprämien von Amts wegen prüfen, ob für den gleichen Zeitraum rückwirkend ein Anspruch auf Prämienverbilligung geltend gemacht werden kann.

Eine Minderheit beantragt, nicht auf die Vorlage einzutreten, da diese mit den Ergebnissen der Detailberatung deutlich an Umfang und Tragweite zugenommen hat. Das Geschäft, zu dem 15 weitere Minderheitsanträge eingereicht wurden, ist nun bereit, in der Wintersession vom Nationalrat behandelt zu werden.

Mehr Wettbe​werb bei Laboranalysen

Entgegen dem Beschluss des Ständerates beantragt die Kommission ihrem Rat mit 13 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung, auf die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung betreffend die Tarife der Analysenliste (24.037) einzutreten. In der Gesamtabstimmung hat sie die Vorlage mit 15 zu 8 Stimmen bei 1 Enthaltung angenommen.

Die Vorlage, mit der eine Motion der SGK-S umgesetzt wird, sieht vor, die Zuständigkeit für die Aushandlung der Tarife für Laboranalysen, die im Rahmen ambulanter Behandlungen vorgenommen werden, an die Tarifpartner zu übertragen. Welche Analysen vergütet werden, würde weiterhin das Eidgenössische Departement des Innern bestimmen, das heute auch die Tarife dieser Analysen festlegt.

Mit 15 zu 10 Stimmen beantragt die SGK-N eine Ergänzung des Entwurfs, wodurch der Vertragszwang im Bereich der Laboranalysen gelockert werden soll. Wenn gewisse Bedingungen in Sachen Versorgungssicherheit erfüllt sind, können die Versicherer so nur die Analysen jener Laboratorien erstatten, mit denen sie einen Zusammenarbeitsvertrag geschlossen haben. Allerdings müssen die Transparenz und die Information der Patientinnen und Patienten gewährleistet sein. Mit dieser Massnahme, die nur Laboratorien betrifft, die keine Analysen im Rahmen der Grundversorgung für den Eigenbedarf durchführen, wird in erster Linie auf grosse private Laboratorien abgezielt. Die Kommission ist der Auffassung, dass diese gezielte Lockerung des Vertragszwangs den Wettbewerb fördert, die Qualität erhöht und eine bessere Kostenkontrolle ermöglicht. Sie geht davon aus, dass die erwarteten Effizienzgewinne zu Preissenkungen führen und sich damit auch positiv auf die Prämien auswirken.

Eine Minderheit spricht sich gegen diesen Schritt aus und beantragt, dem Ständerat zu folgen und nicht auf die Vorlage einzutreten. Sie befürchtet ein komplizierteres System und Verschlechterungen für Patientinnen und Patienten.

Um den Wettbewerb auch im Bereich der Mittel- und Gegenstände zu fördern, hat die Kommission beschlossen, ihre Arbeiten in Umsetzung der pa. Iv. Humbel. Wettbewerbspreise bei Medizinalprodukten der Mittel- und Gegenständeliste (16.419) fortzusetzen. Sie hat die Verwaltung mit 15 zu 8 Stimmen beauftragt, den Vorentwurf aus dem Jahr 2019 an das geltende Recht anzupassen und Fragen zu vertiefen, die sich im Bereich des Kartellrechts stellen. Sie wird ihre Beratungen voraussichtlich im Frühjahr 2025 weiterführen.

Intensive Früh​intervention bei Autismus-Spektrum-Störungen ins Gesetz überführen

Mit 17 zu 8 Stimmen in der Gesamtabstimmung unterstützt die Kommission die Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung betreffend die intensive Frühintervention bei Autismus-Spektrum-Störungen (IFI; 24.066). Sie war davor ohne Gegenantrag auf die Vorlage eingetreten. Die IFI ist eine evidenzbasierte und wissenschaftlich anerkannte Massnahme für Kinder im Vorschulalter und wird in der Schweiz seit 2019 im Rahmen eines Pilotversuches eingesetzt. Die Kommission begrüsst die Überführung dieser sinnvollen und effizienten Intervention ins Gesetz. Mit 13 zu 11 Stimmen präzisiert sie den Entwurf jedoch dahingehend, dass der Bundesrat vor der Regelung der Details zur IFI die Fachexpertinnen und –experten konsultieren muss (Art. 13a Abs. 3). Eine Minderheit lehnt diese Ergänzung ab. Die Vorlage ist bereit für die Wintersession.

Weitere Gesch​äfte

Die Kommission beantragt einstimmig die Annahme der Mo. Stark «13. AHV-Rente einmal pro Jahr auszahlen»(24.3221).

Die Kommission hat sich auch über die Wahl der neuen Depotbank des AHV-Ausgleichsfonds informiert sowie Vertreterinnen und Vertreter von compenswiss angehört. Sie hat zur Kenntnis genommen, dass diese Änderung keinen Transfer von AHV-Vermögen ins Ausland zur Folge hat und somit die Risiken für den AHV-Fonds nicht erhöht.

Die Kommission hat sich zudem erneut über die Pandemiefolgeprozesse im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) informieren lassen. Dabei nahm sie die Frist bis zum 19. Juli 2025 zur Kommunikation allfälliger Vorbehalte oder einer Ablehnung der im Juni beschlossenen Anpassungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) zur Kenntnis. Sie wird diese Arbeiten weiter eng verfolgen und sich erneut damit befassen, sobald der Bundesrat das weitere Vorgehen zu den angepassten IGV beschlossen hat.

Die Kommission tagte am 7. und 8. November 2024 in Bern unter der Leitung von Nationalrätin Barbara Gysi (SP, SG) und teilweise in Anwesenheit von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider.