Die Behörden sollen der Bevölkerung offen kommunizieren, dass der aktuelle exponentielle Anstieg der Ansteckungen mit dem neuen Coronavirus bald zu einer Überlastung des Gesundheitssystems führen kann und die Fallzahlen deshalb unbedingt stabilisiert und runtergebracht werden müssen. Dies empfiehlt die Gesundheitskommission des Ständerates. Zudem ermuntert sie die Kantone, beim Bund Hilfe für das Contact Tracing anzufordern.

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) liess sich von Bundesrat Alain Berset und Professor Martin Ackermann, dem Leiter der Swiss National Covid-19 Science Task Force, über die aktuelle, sehr ernste Situation in der Covid-19-Epidemie informieren: In Europa steht zurzeit nur Frankreich schlechter da als die Schweiz, wenn man die Zahl der positiv Getesteten in den letzten 14 Tagen pro 100 000 Einwohner betrachtet. Einzelne Spitäler melden bereits, dass sie am Anschlag sind, und es ist wahrscheinlicher als im vergangenen März, dass das Spitalsystem – insbesondere das Gesundheitspersonal – in wenigen Wochen überlastet sein wird. Dies zu vermeiden, habe im Moment Vorrang, wurde in der Kommission betont. Um die Ausweitung der Epidemie einzudämmen, müsse die Zahl der Kontakte zwischen den Menschen reduziert werden. Bei der Unterbrechung von Ansteckungsketten sollen künftig neue Schnelltests helfen. Und wenn doppelt so viele Personen die Swiss-Covid-App nutzen, wirkt sie viermal so gut.
Die Kommission fordert die Kantone auf, für die entsprechenden Spitalinfrastrukturen zu sorgen und das Contact Tracing durchzuführen; sie ermuntert sie, dafür beim Bund Hilfe – insbesondere Zivildienstleistende – anzufordern.

Beim Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative an Position des Ständerates festgehalten

Die Kommission hat die Differenzen im indirekten Gegenvorschlag (19.401) zur Volksinitiative «Für eine starke Pflege» beraten. Dabei beantragt sie, in den zwei verbliebenen, zentralen Punkten der Vorlage an ihren bisherigen Beschlüssen festzuhalten. Die Kantone sollen vom Bund finanziell unterstützt werden, wenn sie angehenden Pflegefachkräften während der Ausbildung einen Beitrag an den Lebensunterhalt zahlen. Es soll aber in der Verantwortung der Kantone bleiben, ob sie solche Ausbildungsbeiträge gewähren (8 zu 5 Stimmen); der Nationalrat hat sich für eine Verpflichtung der Kantone ausgesprochen. Mit 7 zu 6 Stimmen hielt die Kommission an ihrem Beschluss fest, wonach nur jene Pflegefachpersonen, Spitexorganisationen und Pflegeheime bestimmte Pflegeleistungen ohne ärztliche Anordnung oder Auftrag abrechnen können, die mit den Krankenversicherern vorgängig eine Vereinbarung abgeschlossen haben. Zu beiden Differenzen liegt für die Beratung im Ständerat ein Minderheitsantrag vor, der jeweils den Beschlüssen des Nationalrats folgen will.

Gesundheitsversorgung am Lebensende stärken

Die Kommission hat einstimmig beschlossen, eine Motion zur Förderung der Palliative Care einzureichen (20.4264). Mit der Motion fordert sie den Bundesrat auf, die notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, damit schweizweit eine bedarfsgerechte Behandlung und Betreuung am Lebensende gewährleistet wird. Die Kantone sollen dabei in geeigneter Weise einbezogen werden. Die Kommission bekräftigt damit ihre Bestrebungen, die Betreuung und Behandlung von Menschen am Lebensende rasch zu verbessern. Ausgangspunkt für die Verabschiedung der Kommissionsmotion war der Bericht des Bundesrates in Erfüllung ihres Postulates 18.3384, der um ein Kapitel zu Erfahrungen von Fachpersonen der Palliative Care während der ersten Welle der Covid-19-Pandemie ergänzt worden ist.

Pflegematerial soll zulasten der Krankenkasse gehen

Mit 12 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung beantragt die Kommission, die Vergütung des Pflegematerials wie etwa Wundverbänden zu vereinfachen. Sie folgt damit dem Bundesrat und dem Nationalrat bei der entsprechenden Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (20.046). Künftig sollen die Krankenkassen das Pflegematerial unabhängig davon vergüten, ob eine Pflegefachperson oder die Patientin es anwendet. Damit werden Kantone und Gemeinden um rund 65 Millionen Franken entlastet.

AHV-Freibetrag für Erwerbstätige über 65 soll auf 2000 Franken im Monat steigen

Die Kommission führte die Detailberatung zur Stabilisierung der AHV (AHV 21; 19.050 s) weiter. Nachdem sie sich Anfang September für die Erhöhung des Referenzalters der Frauen auf 65 Jahre ausgesprochen hatte, diskutierte sie eingehend über mögliche Ausgleichsmassnahmen für die ersten Jahrgänge von Frauen, die länger arbeiten müssen, um Anspruch auf eine volle Altersrente zu erhalten. Sie beauftragte die Verwaltung mit der Berechnung von Varianten bis zur nächsten Kommissionssitzung im November. Intensiv setzte sich die Kommission auch mit den Auswirkungen eines Vorbezugs oder eines Aufschubs der Rente auseinander. In diesem Zusammenhang beantragt die Kommission mit 9 zu 4 Stimmen, dass Erwerbstätige über 65 auf 2000 Franken Einkommen pro Monat keine AHV-Beiträge entrichten sollen. Die Kommissionsmehrheit will so den Anreiz für ein Weiterarbeiten nach Erreichen des Referenzalters verstärken. Die Minderheit unterstützt den Vorschlag des Bundesrates, den Freibetrag bei 1400 Franken pro Monat zu belassen. Denn sonst werde die Wirkung der Neuerung geschmälert, wonach jemand, der nach 65 noch AHV-Beiträge leistet, damit seine Rente aufbessern kann.

Weitere Geschäfte

Mit 9 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung beantragt die Kommission, bei der Vorlage Mutterschaftsentschädigung bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen (18.092 s) den Beschlüssen des Nationalrates zu folgen. Dementsprechend soll die Dauer der Mutterschaftsentschädigung verlängert werden, wenn das Neugeborene direkt nach der Geburt für mindestens zwei Wochen im Spital verbleiben muss. Nur Mütter, die nach dem Mutterschaftsurlaub wieder erwerbstätig sind, haben Anspruch auf die Verlängerung.

Die Kommission hat die Differenzen zur parlamentarischen Initiative 16.411 zur Weitergabe der Daten der Krankenversicherer geprüft. Sie hält an ihrem Entwurf fest, den sie als verhältnismässig erachtet. Zur Erfüllung der Aufgaben gemäss Krankenversicherungsgesetz sollen die Versicherer dem Bund grundsätzlich aggregierte Daten liefern; Individualdaten sollen nur in gesetzlich festgelegten Ausnahmen verwendet werden. Mit 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen abgelehnt hat die Kommission die gleichlautenden Motionen «Unbestrittene Statistiken von einem unabhängigen Organ erstellen lassen» (18.3432 n, 18.3433 n). Sie erachtet deren Anliegen als erfüllt, da bereits eine Datenstrategie für das Gesundheitswesen ausgearbeitet wird infolge eines Postulates der Kommission (18.4102 s).

Die Kommission tagte am 19. und 20. Oktober 2020 in Bern unter dem Vorsitz von Rechsteiner Paul (SP, SG) und teilweise in Anwesenheit von Bundesrat Alain Berset.