Nach dem Ständerat spricht sich auch die Staatspolitische Kommission (SPK-N) des Nationalrates für eine gesetzliche Umsetzung des verfassungsrechtlichen Verbots zur Verhüllung des Gesichtes auf Bundesebene aus.

Mit der Vorlage des Bundesrates für ein Bundesgesetz über das Verbot der Verhüllung des Gesichts (22.065) soll der von Volk und Ständen in der Abstimmung vom 7. März 2021 angenommene Artikel 10a der Bundesverfassung umgesetzt werden. Wie schon in der Schwesterkommission des Ständerates, war auch in der SPK-N die Frage des Eintretens umstritten. Schliesslich ist die Kommission mit 18 zu 6 Stimmen und 1 Enthaltung auf die Vorlage eingetreten. Gemäss Ansicht der Kommission sollte der in der Volksabstimmung ausgedrückte Wille nun effizient auf Bundesebene umgesetzt werden, was auf der Grundlage von Artikel 123 der Bundesverfassung verfassungskonform möglich ist. Die Minderheit argumentierte, dass es sich beim Verhüllungsverbot um eine Frage der Ordnung im öffentlichen Raum handle, wofür die Kantone zuständig seien.

Gemäss der Vorlage wird die Übertretung des Verbots zur Gesichtsverhüllung mit bis zu 1000 Franken geahndet. Ein Antrag, die maximale Busse bei 200 Franken anzusetzen, wurde mit 13 zu 11 Stimmen abgelehnt. Im Weiteren definiert das Gesetz die Ausnahmen vom Gesichtsverhüllungsverbot.

Der Entwurf des Bundesrats sieht zudem vor, dass die zuständigen Behörden eine Bewilligung zur Gesichtsverhüllung erteilen können, wenn es um die Ausübung der Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit geht. Ein Antrag, wonach das Gesichtsverhüllungsverbot auch bei bewilligten Demonstrationen uneingeschränkt gelten soll, wurde mit 17 zu 7 Stimmen abgelehnt. Die Kommission sprach sich auf der anderen Seite mit 15 zu 9 Stimmen gegen einen Antrag aus, wonach eine Gesichtsverhüllung auch dann bewilligt werden kann, wenn achtenswerte Gründe für eine Unkenntlichmachung vorliegen. Dabei sollten sich z.B. Frauen, die zu Hause Gewalt erfahren haben, verhüllen dürfen, wenn sie an einer Demonstration teilnehmen. Gemäss Ansicht der Mehrheit ist dies mit der Gewährung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gemäss Art. 2 Abs. 3 Bst. a des Gesetzes abgedeckt.

Die Kommission stimmte dem unveränderten Erlassentwurf in der Gesamtabstimmung mit 21 zu 1 Stimmen und 3 Enthaltungen zu.

Bessere Verein​barkeit von Parlamentsmandat und Mutterschaft

Die SPK-N hat die Änderung des Erwerbsersatzgesetzes betreffend die Mutterschaftsentschädigung von Parlamentarierinnen mit 21 zu 1 Stimmen bei 2 Enthaltungen zuhanden des Rates verabschiedet (19.311, 20.313, 20.323, 21.311). Die vorgeschlagene Gesetzesänderung des Erwerbsersatzgesetzes soll die Vereinbarkeit von Parlamentsmandat und Mutterschaft fördern. Gemäss geltendem Recht endet bei Mutterschaft der Anspruch auf Entschädigung am Tag der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit, unabhängig vom Beschäftigungsgrad. Einem Gerichtsurteil zufolge gilt ein Parlamentsmandat als Erwerbstätigkeit. Dies hat zur Folge, dass eine Parlamentarierin die Mutterschaftsentschädigung auch für ihre hauptberufliche Tätigkeit verliert, wenn sie während des Mutterschaftsurlaubs – auch nur vereinzelt – an Sitzungen des Parlamentes teilnimmt.

Aus Sicht der Kommission soll eine vom Volk gewählte Parlamentarierin nicht aufgrund von Mutterschaft an der Erfüllung ihres politischen Mandats gehindert werden. Andernfalls könnten sich nämlich die von den Wählerinnen und Wählern gewollten politischen Kräfteverhältnisse ändern. Die Kommission ist zudem der Ansicht, dass der Mutterschutz an das System des Milizparlaments angepasst werden muss. Sie schlägt deshalb vor, dass eine Parlamentarierin ihren Anspruch auf die Mutterschaftsentschädigung für ihre berufliche Tätigkeit nicht verliert, wenn sie während des Mutterschaftsurlaubes an Rats- und Kommissionssitzungen des Parlamentes auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene teilnimmt. Ausserdem hat die Kommission mit 17 zu 7 Stimmen beschlossen, dass diese Lösung für alle parlamentarischen Sitzungen (Plenum und Kommissionen) gelten soll, unabhängig davon, ob eine Stellvertretung vorgesehen ist oder nicht.

Kein Verbot bezahlter Un​terschriftensammlungen

Die Kommission beantragt mit 14 zu 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen, der parlamentarischen Initiative 22.471 («Bezahlte Demokratie ist Demagogie») von Nationalrätin Léonore Porchet (G, VD) keine Folge zu geben. Diese Initiative verlangt im Wesentlichen, bezahlte Unterschriftensammlungen für Volksinitiativen und Referenden zu verbieten, weil diese Praxis oft dazu führe, dass die Sammlerinnen und Sammler unwahre Argumente verwenden, was das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Instrumente der direkten Demokratie untergrabe.

Die Kommission hält ein solches Verbot nicht für notwendig, da die Bürgerinnen und Bürger mündig genug sind, um wahre Argumente von falschen zu unterscheiden. Die Ausübung der Demokratie darf nicht überreguliert und verkompliziert werden. Die Kommission hält zudem fest, dass die bezahlte Unterschriftensammlung zwar problematisch ist, doch liesse sich ein solches Verbot nur schwer durchsetzen.

Die Minderheit möchte der Initiative Folge geben, da in ihren Augen gegen den Missbrauch in bestimmten Kantonen vorgegangen werden muss.

Die Kommission tagte am 22. und 23. Juni 2023 unter dem Vorsitz von Nationalrat Marco Romano (M-E, TI) in Bern.