Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates (SPK-N) hat Anhörungen durchgeführt zu vier Motionen des Ständerates, die sich alle mit der Ausweisung und Rückführung von Asylsuchenden befassen, insbesondere mit den Schwierigkeiten aufgrund der mangelnden Kooperationsbereitschaft bestimmter Herkunftsländer bei der Rücknahme ihrer Staatsangehörigen. Die Kommission beantragt die Annahme der Motion, welche von Italien die Einhaltung des Dublin-Abkommens verlangt, die Anpassung der Motion, welche eine «Rückführungsoffensive» fordert, und die Ablehnung der beiden Motionen zu Algerien und Eritrea.

Im Weiteren hat die Kommission beschlossen, im ersten Quartal 2024 das Bundesamt für Statistik zum schwerwiegenden Fehler bei der Veröffentlichung der Ergebnisse der eidgenössischen Wahlen anzuhören. Der Fokus liegt dabei auf dem Vertrauen in die Institutionen. Zudem wird eine breit angelegte Anhörung von Fachpersonen über mögliche Reformen des Wahlsystems im Lichte der verschiedenen Vorschläge und Forderungen, die während des Wahlkampfes und in den darauffolgenden Wochen aufkamen, durchgeführt.

Da die Kantone bei der Rückführung von Asylsuchenden an vorderster Front stehen, war es für die Kommissionsmitglieder zentral, zu diesem Thema eine Delegation der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und der Vereinigung der kantonalen Migrationsbehörden (VKM) sowie einen Experten für Migrationsrecht und eine Delegation der Internationalen Organisation für Migration (IOM) anzuhören. Aufgrund der Diskussionen sieht die Kommission in diesem Bereich Handlungsbedarf, damit Rückführungen von abgewiesenen Asylsuchenden effizienter und häufiger durchgeführt können, auch wenn anerkannt werden muss, dass die Anzahl Rückführungen in den letzten Jahren bereits gesteigert werden konnte. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern intensiviert und die Rückkehrhilfe verstärkt werden. Die SPK-N ist hingegen der Auffassung, dass Sanktionen gegen unkooperative Herkunftsländer nicht zielführend, wenn nicht bisweilen kontraproduktiv sind. Sie beantragt daher ihrem Rat mit 17 zu 8 Stimmen, die Motion Salzmann 23.3082 («Rückführungsoffensive und konsequente Ausweisung von Straftätern und Gefährdern») in leicht abgeänderter Fassung anzunehmen. Die Motion beauftragt den Bundesrat, ein Konzept vorzulegen, wie die Zahl der Rückführungen und Ausweisungen in den kommenden Jahren mit neuen Rücknahmeabkommen erhöht werden kann.

Die Kommission beantragt hingegen, die beiden Motionen Damian Müller 23.3032 («Rückführungen nach Algerien. Forcierung der Zusammenarbeit im Bereich der Rückkehr dank der Anwendung von Artikel 25a des Schengener Kodex» [mit 13 zu 9 Stimmen]) und 23.3176 («Rückführung von Eritreern, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Lancierung eines Pilotprojekts in einem Drittstaat» [mit 13 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung]) abzulehnen. Die Mehrheit ist der Auffassung, dass eine Gesamtstrategie zu diesem Thema im Sinne der abgeänderten Motion Salzmann 23.3082 vorzuziehen ist. Zudem haben die Anhörungen gezeigt, dass sich die Situation mit Algerien seit letztem Jahr deutlich verbessert hat. Die Minderheit wiederum spricht sich für diese beiden Motionen aus, da sie es für notwendig hält, dem Bundesrat eine klare Botschaft zu senden, um die spezifische Situation mit diesen Ländern zu deblockieren.

Ferner ist das Anliegen der Motion Damian Müller 23.3031 («Intervention in Brüssel, damit Italien endlich das Dublin-Abkommen einhält») in der Kommission auf Zuspruch gestossen, weshalb die SPK-N mit 14 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung die Annahme des Vorstosses beantragt. Die Kommission erachtet es als notwendig, maximalen Druck auf Italien auszuüben, damit das Land seinen Verpflichtungen aus dem Dublin-Abkommen nachkommt. Die Minderheit ist hingegen der Ansicht, dass diese Motion angesichts der derzeitigen Bestrebungen des Bundesrates überflüssig ist und über ihre symbolische Bedeutung hinaus keine konkreten Auswirkungen haben wird.

Recht auf digitale Unversehrtheit wird nic​ht als Grundrecht in die Verfassung aufgenommen

Nachdem die SPK-N Anhörungen zu den Herausforderungen künstlicher Intelligenz für die Schweizer Institutionen und zur Zweckmässigkeit der Aufnahme eines Grundrechts auf digitale Unversehrtheit in die Bundesverfassung durchgeführt hat, beantragt sie mit 13 zu 11 Stimmen, der von Nationalrat Samuel Bendahan eingereichten parlamentarischen Initiative 22.479 («Das Recht auf digitale Unversehrtheit in die Verfassung aufnehmen») keine Folge zu geben.

Nach Ansicht der Kommission reicht der bestehende Grundrechtskatalog aus, um die wesentlichen Rechte einer Person in der digitalen Welt zu schützen. Deshalb ist ein Eingreifen auf Verfassungsebene nicht nötig. Allfällige Lücken beim Schutz sind eher auf der Ebene der Rechtsanwendung oder der Rechtssetzung zu verorten. Die Kommission wird sich an einer ihrer nächsten Sitzungen damit befassen, ob es angebracht ist, die Situation zu überprüfen und Schritte in diese Richtung zu unternehmen.

Die Minderheit beantragt, der parlamentarischen Initiative Folge zu geben.

Motion für eine Strategie und einen ​​Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus

Die Kommission hat mit 15 zu 7 Stimmen bei 2 Enthaltungen eine Motion (23.4335) angenommen, die den Bundesrat beauftragt, gemeinsam mit den Kantonen eine Strategie und einen Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus auszuarbeiten. Die SPK-N ist der Ansicht, dass die antisemitischen Äusserungen und Handlungen, die seit den jüngsten Ereignissen im Nahen Osten in der Schweiz zu beobachten sind, Anlass zu grosser Sorge geben. Angesichts dieser Entwicklung ist es umso wichtiger, dass der Bundesrat seine Strategie überarbeitet, den aktuellen Rahmen überprüft und für die Zukunft strategische Schwerpunkte zur Bekämpfung solcher Vorkommnisse, die in einer demokratischen Gesellschaft keinen Platz haben, setzt.

Die Minderheit lehnt die Motion ab.

Parlamentstätigkeit: Sozialversicherungsle​istungen und persönliche Mitarbeitende für Parlamentsmitglieder und Rhythmus der Sitzungen

Die Kommission hat sich von einer Vertretung des Büros über dessen Arbeiten zum Thema «Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Politik» (in Umsetzung des Postulates 18.4252 Feri) informieren lassen. Sie hat von den vom Büro in Auftrag gegebenen Expertisen sowie von den Vorschlägen des Büros Kenntnis genommen. Die Kommission sieht zum einen rechtlichen Handlungsbedarf im Bereich der Sozialversicherungsleistungen, welche Parlamentsmitglieder im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Mandats erhalten. Bei der Versicherungsdeckung von Parlamentsmitgliedern bestehen Lücken, aber auch Doppelspurigkeiten. Die Kommission hat deshalb mit 17 zu 6 Stimmen bei 2 Enthaltungen die Ausarbeitung einer parlamentarischen Initiative beschlossen (23.473). Danach sollen die rechtlichen Bestimmungen so angepasst werden, dass diese Probleme beseitigt werden können.

Zum anderen ist die Kommission der Ansicht, dass die Mitglieder der Bundesversammlung aufgrund der zunehmenden Komplexität und Quantität der parlamentarischen Dossiers eine stärkere Unterstützung durch persönliche Mitarbeitende benötigen. Sie hat deshalb mit 14 zu 7 Stimmen bei 3 Enthaltungen eine entsprechende parlamentarische Initiative eingereicht (23.474).

Schliesslich ist die Kommission der Ansicht, dass die Arbeitsweise der Bundesversammlung im Hinblick auf die Verträglichkeit mit weiteren Verpflichtungen der Ratsmitglieder überprüft werden muss. Im Vordergrund steht dabei die Häufigkeit und Dauer der Session. Die Kommission hat eine entsprechende parlamentarische Initiative mit 13 zu 10 Stimmen beschlossen (23.475).

Die drei parlamentarischen Initiativen gehen nun zur Vorprüfung in die Schwesterkommission des Ständerates. Nur wenn diese ihnen zustimmt, kann die Nationalratskommission Umsetzungsvorschläge ausarbeiten.

Zusammensetzung der internat​ionalen Delegationen

Darüber hinaus hat die Kommission beschlossen, das Geschäftsreglement des Nationalrates dahingehend zu ändern, dass die verschiedenen Fraktionen in den ständigen Delegationen bei den internationalen parlamentarischen Versammlungen und in den ständigen Delegationen für die Beziehungen zu den Nachbarstaaten besser vertreten sind (23.476).

Die Kommission tagte am 09./10. November 2023 unter dem Vorsitz von Nationalrat Marco Romano (M-E, TI) in Bern.