Die Staatspoltische Kommission des Nationalrates will sicherstellen, dass bei der Prüfung von Asylgesuchen von Afghaninnen in jedem Fall eine Einzelfallprüfung sowie im Falle eines Familiennachzugs eine Sicherheitsüberprüfung der nachziehenden Ehemänner stattfindet.

In der vergangenen Wintersession hat der Nationalrat eine von Gregor Rutz eingereichte Motion an die Kommission zur Vorberatung zugewiesen (23.4241). Die Motion verlangt, dass die seit dem 17. Juli 2023 ausgeübte Praxis bezüglich der Asylgesuche von Afghaninnen rückgängig gemacht werden soll. Gemäss dieser Praxis gelten weibliche Asylsuchende aus Afghanistan sowohl als Opfer diskriminierender Gesetzgebung als auch religiös motivierter Verfolgung, so dass ihnen grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Die Kommission bestreitet die schlimme Situation für Frauen in Afghanistan nicht und verlangt auch nicht, dass diese Praxisänderung grundsätzlich rückgängig gemacht wird. Sie lehnt deshalb die Motion 23.4241 mit 13 zu 12 Stimmen ab. Hingegen will die Kommission sicherstellen, dass in jedem Fall eine Einzelfallprüfung der Gesuche stattfindet und nachziehende Ehemänner einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden. Zudem sind Afghaninnen, die sich in Drittstaaten aufgehalten haben, aufgrund der Verfolgungssituation in diesem Land zu beurteilen. Eine entsprechende Kommissionsmotion wurde mit 24 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung eingereicht (24.3008).

Rolle der Bundesversammlung bei der Bewil​​​ligung dringlicher Kredite

Im Nachgang zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS im vergangenen Frühling hat sich die Kommission wiederholt mit der Rolle der Bundesversammlung bei der Bewilligung dringlicher Kredite auseinandergesetzt. Die Räte haben vom Bundesrat mit Zustimmung der Finanzdelegation beschlossene bzw. eingegangene dringliche Kredite oder Verpflichtungen nachträglich zu genehmigen. Die Staatspolitische Kommission hat festgestellt, dass die Wirkung der nachträglichen Genehmigung durch die Bundesversammlung unterschiedlich beurteilt wird. Sie erachtet deshalb eine Klärung als sinnvoll und beschloss einstimmig die Einreichung einer Kommissionsinitiative (24.400).

Keine Kontingente für die Einreichung parla​​mentarischer Initiativen und Vorstösse

Einmal mehr spricht sich die Kommission dagegen aus, dass die Ratsmitglieder nur noch eine bestimmte Anzahl parlamentarischer Initiativen und Vorstösse einreichen dürfen. Sie lehnt eine parlamentarische Initiative von Nationalrat Thomas Matter (23.408), wonach ein Ratsmitglied während einer Legislatur höchstens 32 Initiativen und Vorstösse einreichen darf, mit 12 zu 12 Stimmen und Stichentscheid der Präsidentin ab. Die Statistik zeigt, dass nur ganz wenige Ratsmitglieder so viele Vorstösse einreichen. Wenn eine Reduzierung der Gesamtzahl eingereichter Initiativen und Vorstösse erreicht werden sollte, müsste die Zahl viel tiefer angesetzt werden. Die Statistik zeigt auch, dass die Zahl eingereichter Initiativen und Vorstösse in den letzten Jahren nicht zugenommen hat. Eine Minderheit möchte die Ratsmitglieder, welche es mit der Einreichung von Vorstössen übertreiben, in Schranken weisen.

Kein obligatorisches Referendum gegen alle drin​​glich erklärten Bundesgesetze

Gemäss geltenden Recht sind dringliche Bundesgesetze dann dem obligatorischen Referendum zu unterstellen, wenn sie keine Verfassungsgrundlage haben. Die verfassungskonformen dringlichen Bundesgesetze unterstehen dem fakultativen Referendum. Dies entspricht dem schweizerischen System der Volksrechte, wonach Erlasse einer Abstimmung von Volk und Ständen unterliegen, wenn ihnen Verfassungsrang zukommt. Die Kommission sieht keinen Anlass, diesen Grundsatz nicht mehr zu befolgen und lehnt eine parlamentarische Initiative von Nationalrat Lukas Reimann mit 15 zu 8 Stimmen bei einer Enthaltung ab (23.424). In Krisensituationen müssten allenfalls zahlreiche Abstimmungen innert kürzester Zeit stattfinden, was alle beteiligten Akteure überfordern und die Handlungsfähigkeit des Staates einschränken würde. Die Kommission weist auch darauf hin, dass eine Volksinitiative mit demselben Anliegen kürzlich im Sammelstadium gescheitert ist. Nach Ansicht der Minderheit könnte ein obligatorisches Referendum eine inflationäre Nutzung des Dringlichkeitsrechts verhindern.

Keine Verlängerung der Schutzd​​auer für UMA

Wie bereits der Ständerat erachtet es die Staatspolitische Kommission des Nationalrates nicht als notwendig, den Schutz für unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) bis zum 25. Altersjahr zu verlängern. Sie spricht sich deshalb mit 17 zu 7 Stimmen gegen ein Genfer Standesinitiative (23.301) aus. Die Schweiz bietet UMA besonderen Schutz bis zur Erreichung ihrer Volljährigkeit. Aus Sicht der Kommission wäre es willkürlich, die Minderjährigkeit nur im Asylrecht neu zu definieren, was neben einer schwer zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung auch Rechtsunsicherheit schaffen würde. Ausserdem bestünde die Gefahr, dass mit der Umsetzung der Initiative in die kantonalen Kompetenzen eingegriffen und die Schweiz für Flüchtlinge noch attraktiver gemacht würde.

Die Minderheit verweist auf die Verletzlichkeit dieser Personen, was einen besonderen Schutz bis zum 25. Lebensjahr rechtfertige.

Verfahren bei Nationalra​​tswahlen

Im Zusammenhang mit den vergangenen Nationalratswahlen war viel von der «Listenflut» die Rede und es wurden bereits zahlreiche Vorstösse eingereicht, welche sich mit dem Verfahren für die Wahl des Nationalrates, insbesondere mit der Thematik der Listenverbindungen, befassen. Um auf die kommenden Diskussionen vorbereitet zu sein, hat die Kommission Expertinnen und Experten angehört, welche das Thema aus politologischer, rechtlicher und mathematischer Sicht beleuchtet haben.

Verhandlungen ​mit der EU

Schliesslich hat sich die Kommission über migrations- und staatspolitische Aspekte betreffend das Mandat für die künftigen Verhandlungen mit der EU informieren lassen. Im Bereich der Migration stand die Unionsbürgerrichtlinie im Vordergrund. Im staatspolitischen Bereich interessierte die dynamische Rechtsübernahme sowie der Mechanismus der Streitbeilegung. Die Kommission gab keine Empfehlungen zu den Verhandlungsleitlinien ab.

Die Kommission tagte am 1./2. Februar 2024 unter dem Vorsitz von Nationalrätin Greta Gysin (G, TI) in Bern.