Vergangene Woche fand die Frühlingssession der parlamentarischen Versammlung des Europarates in Strassburg statt. Ein Gespräch mit dem Präsidenten der Schweizer Delegation, Nationalrat Pierre-Alain Fridez.

Herr Fridez, die Schweizer Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PVER) hat im Vorfeld der Sessionan die russische Delegation appelliert, Regimekritiker Alexej Nawalny freizulassen. Hatten Sie während der Session dazu einen Austausch mit Mitgliedern der russischen Delegation?

Ein direkter Austausch war leider nicht möglich, da die russische Delegation an dieser Sessionswoche nicht physisch anwesend war, sondern nur online teilnahm.

War dieser Appell nicht ungewohnt deutlich für die Schweizer Delegation?

Die besonderen Umstände der Covid-Pandemie haben die Einflussmöglichkeiten des Europarates und seiner Parlamentarischen Versammlung reduziert und zugleich problematische Entwicklungen in Ländern wie Russland oder der Türkei begünstigt. Die Schweizer Delegation beruft sich in ihrer Kritik auf klare Entscheide des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR). Die Respektierung dieser Entscheide ist die nicht verhandelbare Grundlage für die Zusammenarbeit der Staaten im Europarat. In dieser Frage gibt es keine neutrale Position, auch nicht für die Schweiz.

Was kann die PVER in einem solchen Fall von vermeintlich klaren Verstössen gegen die Menschenrechte konkret ausrichten?

Die Versammlung hat begrenzte Möglichkeiten. Sie kann Fehlverhalten öffentlich kritisieren – was für betroffene Ländern sehr unangenehm ist; sie könnte allenfalls begrenzte Sanktionen gegen die Parlamentsdelegation des betroffenen Landes beschliessen, oder sie kann im äussersten Fall ein gemeinsames Verfahren mit dem Ministerkomitee anstossen, welches in letzter Konsequenz zu einem Ausschluss des Landes aus dem Europarat führen könnte. Dieser Beschluss muss allerdings vom Ministerkomitee, also von den Aussenministerien aller Mitgliedsstaaten gefasst werden. Man wird ihn vermeiden, solange es nur möglich ist. Er würde dazu führen, dass die Bevölkerung des betroffenen Landes den Zugang zum EGMR und damit jeden Schutz durch die Menschenrechtsmechanismen des Europarates verliert. Es ist jedoch wichtig, dass allen Bürgerinnen und Bürger in Europa der Zugang für eine Klage beim EGMR offenbleibt. 

Welche Themen standen während der vergangenen Session ebenfalls auf der Agenda der Schweizer Delegation?

Während einer Sessionswoche finden sowohl Debatten im Plenum, wie auch Sitzungen der neun Kommissionen statt. In der Vielzahl der Themen, welche hier zur Diskussion standen, haben sich Mitglieder der Schweizer Delegation insbesondere zu folgenden Fragen eingebracht: Covid-Ausweise und deren rechtliche Implikationen, Kriegsgefangene im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, Monitoringbericht zu den Entwicklungen in Montenegro, der Fall Nawalny, Bericht zum Thema Klima und Migration – um nur einige Beispiele zu erwähnen. Für mich persönlich war ein Treffen mit der Präsidentin von Moldawien, Frau Sandu ein Höhepunkt der Woche. Das Treffen fand statt, weil ich Berichterstatter der Monitoringkommission für Moldawien bin.

Wie finden Sie in einer so politisch diversen Delegation überhaupt einen Konsens?

Zentrale Themen des Europarates sind die Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Kampf gegen Korruption. Dies sind gemeinsame Werte, die allen Mitgliedern der Schweizer Delegation am Herzen liegen, egal welcher Partei sie angehören. Die Gemeinsamkeiten sind hier über alle Parteigrenzen hinweg weit grösser, als man dies in der nationalen politischen Auseinandersetzung kennt. Im Übrigen tritt die Delegation jedoch kaum je als geschlossene nationale Delegation auf. Es sind vielmehr zwölf politische Individuen, welche auch in der PVER unterschiedlichen Fraktionen angehören und die sich gemäss ihrer persönlichen Überzeugung äussern und engagieren. 

Weshalb ist wichtig, dass das Schweizer Parlament an der PVER vertreten ist?

47 Staaten des gesamten paneuropäischen Raumes gehören dem Europarat und seiner parlamentarischen Versammlung an, einzig Weissrussland bleibt ein weisser Fleck auf der Karte. Die gemeinsame Arbeit zur Stärkung der Menschenrechte, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit trägt entscheidend zur Stabilität und zum gegenseitigen Vertrauen in diesem gemeinsamen Lebensraum bei. Diese Stabilität ist nicht einfach gegeben, sie ist immer wieder Bedrohungen ausgesetzt. Ein Beitrag zu dieser Stabilität liegt im vitalen Interesse der Schweiz. «Nie wieder Krieg in Europa» war die Hauptmotivation für die Gründung des Europarates im Jahr 1949. Diese Anliegen ist und bleibt von hoher Aktualität.