Die Ständeratspräsidentin oder der Ständeratspräsident leitet die Verhandlungen des Rates, legt im Rahmen der Sessionsplanung des Büros die Tagesordnung fest, leitet das Ratsbüro und vertritt den Rat nach aussen.
I. Wahl
Zu Beginn der
Wintersession wählt der Ständerat für jeweils ein Jahr die Mitglieder des
Präsidiums und die restlichen Mitglieder des
Büros (Art. 3 Abs. 1 GRS). Sie werden einzeln und nacheinander nach den Regeln für die
Bundesratswahlen gewählt (Art. 132 ParlG).
Die Wiederwahl der Ständeratspräsidentin oder des Ständeratspräsidenten für das Folgejahr ist ausgeschlossen (Art. 152 BV). Wird das Amt des Ratspräsidenten während der Amtsdauer, aber vor Beginn der Sommersession frei, erfolgt eine Ersatzwahl (Art. 3 Abs. 3 GRS). Entsteht die Vakanz später, nimmt bis zur Wahl der neuen Präsidentin oder des neuen Präsidenten der erste Vizepräsident oder die erste Vizepräsidentin die Präsidialaufgaben wahr (Art. 3 Abs. 3 GRS e contrario;
Art. 4 Abs. 2 GRS).
II. Aufgaben und Befugnisse
Der Ratspräsident oder die Ratspräsidentin hat insbesondere folgende Aufgaben und Befugnisse:
III. Wortmeldung zur Sache und Stimmabgabe
Die Ratspräsidentin oder der Ratspräsident äussert sich in der Regel nicht zur Sache (Art. 3 Abs. 3 GRS e contrario) und stimmt nur dann mit, wenn formell die
Mehrheit der Mitglieder jedes Rates zustimmen muss (Art. 80 Abs. 1 und Abs. 2 ParlG). Bei Stimmengleichheit fällt sie oder er den Stichentscheid (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 ParlG).
Bei
Wahlen übt die Präsidentin ihr oder der Präsident sein Wahlrecht wie jedes andere Ratsmitglied aus. Auch im Ratsbüro stimmt die Ratspräsidentin oder der Ratspräsident stets mit und fällt auch hier bei Stimmengleichheit den Stichentscheid (Art. 46 Abs. 3 ParlG;
Art. 12 Abs. 3 GRS).
Fakten und Zahlen
Seit 1848 gab es 201 Ständeratspräsidentinnen/-präsidenten.
Der Grund für diese hohe Zahl liegt primär bei den bis 1902 geltenden gesetzlichen Bestimmungen, hielten doch die Verfassungen von 1848 (Art. 75) und 1874 (Art. 86) fest, dass sich die Räte «jährlich einmal zur ordentlichen Sitzung» zu versammeln hatten. Die Räte traten daher nur einmal pro Jahr zu einer Session zusammen, welche sie zudem jeweils unterbrachen, um sie später fortzusetzen. Das
Geschäftsverkehrsgesetz (GVG) von 1849 legte den Beginn der Session auf den Sommer fest, während die Nationalratswahlen immer am letzten Sonntag im Oktober stattfanden. Der Beginn der Amtstätigkeit des neu gewählten Nationalrates fiel damit in die Mitte der Session. Der Ständerat, der gemäss den Verfassungen von 1848 (Art. 71) und 1874 (Art. 82) und dem Geschäftsreglement von 1850 aus seiner Mitte «für jede ordentliche [...] Sitzung einen Präsidenten» wählen musste, hatte aus diesem Grund für seine dreijährige Legislatur (ursprünglich wurden die Nationalräte für eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt) vier Präsidenten zu bestimmen, von denen der erste und der vierte nur ein halbes Jahr den Vorsitz führten.
Die Verfassungen von 1848 und 1874 hielten zudem fest, dass der Ständerat für jede ausserordentliche Sitzung einen neuen Präsidenten wählen musste. Der Ständerat hielt sich im 19. Jahrhundert gelegentlich an diese Bestimmung und führte vereinzelt für ausserordentliche Sessionen Neuwahlen durch.
Liste der Ständeratspräsidentinnen/-präsidenten seit 1848
Rücktritte und Ersatzwahlen gab es wenige, seit Beginn des 20. Jahrhunderts mussten nur zwei Ersatzwahlen durchgeführt werden. In der Sommersession 1982 wurde Pierre Dreyer zum Ständeratspräsidenten gewählt, nachdem Jost Dillier während seiner Amtszeit als Ständeratspräsident von der Landsgemeinde als Ständerat abgewählt worden war. In der Frühlingssession 1991 wählte der Ständerat Arthur Hänsenberger als Nachfolger des verstorbenen Max Affolter.
Vor 1914 war kein parteipolitisch oder anderweitig definierter «Turnus» erkennbar. Von 1916 bis 1927 folgte auf zwei Ständeratspräsidenten der freisinnig-demokratischen Fraktion ein Ständeratspräsident der christlichdemokratischen Fraktion, und zwischen 1928 und 1947 stellten beide Fraktionen abwechselnd den Präsidenten. Ab 1948 wurden die kleineren Fraktionen Liberale, SP und BGB jeweils etwa alle sieben Jahre berücksichtigt, ab 1971 zum Teil in kürzeren Abständen.
Von 2004 bis 2014 wurde alle fünf oder sechs Jahre zuerst ein Mitglied der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei und anschliessend ein Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion zum Präsidenten oder zur Präsidentin der kleinen Kammer gewählt.
In der Mitte des 20. Jahrhunderts etablierte sich die Praxis, dass die Stimmenzählerin oder der Stimmenzähler später zur Vizepräsidentin oder zum Vizepräsidenten und somit schliesslich zur Ständeratspräsidentin oder zum Ständeratspräsidenten gewählt werden. Zuvor wurde die Wahl des Ständeratspräsidenten mit der Wahl des Vizepräsidenten erst im Vorjahr entschieden.
Nur zwei Vizepräsidenten wurden später nicht Ständeratspräsident: 1980 wurde Leon Schlumpf zum Bundesrat gewählt, 1998 trat Andreas Iten aus dem Rat zurück.
Die meisten Ständeratspräsidentinnen und Ständeratspräsidenten stellten die Kantone Waadt (17), Bern (15), Thurgau (13), St. Gallen (12) und Zürich (11). Bis heute bekleidete noch keine Ständerätin oder kein Ständerat aus dem Kanton Nidwalden dieses Amt.
Die Verfassung hielt bis 1999 fest, dass die Ständeratspräsidentin bzw. der Ständeratspräsident nicht in zwei aufeinanderfolgenden Amtsjahren aus demselben Kanton stammen darf.
Die Frauen sind auch 40 Jahre nach der Wahl der ersten Frauen in den Ständerat dort weiterhin stark untervertreten. Es mag daher nicht erstaunen, dass erst sechs Ständerätinnen (Josi Meier 1991, Françoise Saudan 2000, Erika Forster-Vannini 2009, Karin Keller-Sutter 2017, Brigitte Häberli-Koller 2022, Eva Herzog 2023) zur Ständeratspräsidentin gewählt wurden.
Das Durchschnittsalter der Ständeratspräsidentinnen und Ständeratspräsidenten liegt bei 54 Jahren. Der jüngste Ständeratspräsident war 31-jährig (Numa Droz 1875), der älteste 74-jährig (Auguste Pettavel 1919).
Vor der Wahl waren die Ständeratspräsidentinnen und Ständeratspräsidenten durchschnittlich bereits 11,5 Jahre im Ständerat.
Die Verfassung schliesst die Wiederwahl der Ständeratspräsidentin oder des Ständeratspräsidenten nur für das Folgejahr aus. Im 19. Jahrhundert wurden sechs Ständeräte einmal, ein Ständerat zweimal und zwei Ständeräte dreimal zum Ständeratspräsidenten gewählt. Im 20. und 21. Jahrhundert gab es keine Wiederwahl.
Fünf Ständeratspräsidenten wurden später auch zum Nationalratspräsidenten gewählt, während vier Ständeratspräsidenten bereits zuvor als Nationalratspräsidenten fungierten. (Heute führt die politische Karriere in der Regel vom Nationalrat in den Ständerat. In den ersten Jahren der Bundesversammlung war dies jedoch noch anders: In den Ständerat gewählte, aufstrebende Politiker versuchten, möglichst rasch in den Nationalrat zu wechseln. Die Gründe dafür waren einerseits, dass Ständeräte in den meisten Kantonen durch den Grossen Rat gewählt wurden und sich somit – im Gegensatz zu den Nationalräten – nicht auf eine durch direkte Volkswahlen gestützte Legitimität berufen konnten. Andererseits wurden die Ständeräte in mehreren Kantonen nur für ein Jahr gewählt.)
StänderatspräsidentIN 2023/24
Faktenblatt: Ständeratspräsident/in (PDF)
Quellen
- «Fakten und Zahlen: Anzahl Ständeratspräsidenten/innen»: Paul Cron, Die Geschäftsordnung der Schweiz. Bundesversammlung; Universitätsbuchhandlung Freiburg in der Schweiz 1946, S. 74.
- «Fakten und Zahlen: Wechsel ins Präsidium des Nationalrates»: Jean-Francois Aubert, Die Schweizerische Bundesversammlung von 1848 bis 1998, Helbing & Lichtenhahn, Basel und Frankfurt am Main 1998, S. 49 f.; Giovanni Biaggini, Art. 148 BV N 9, in: Giovanni Biaggini, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Kommentar, Orell Füssli Verlag AG 2007, S. 679.