Der Nationalrat in Kürze
(sda) STRASSENVERKEHR: Auf den letzten Metern ist die Diskussion um den neuen Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) ins Stocken geraten. Bei den letzten verbleibenden Differenzen will der Nationalrat dem Ständerat nicht entgegenkommen. Die kleine Kammer hatte letzte Woche beschlossen, dass dem Strassenverkehr maximal 60 Prozent der Mineralölsteuer zukommen sollen. Mit dem Spielraum nach unten will sie verhindern, dass andere Bereiche überproportional von allfälligen Sparmassnahmen betroffen sind. Im Nationalrat fand sich dafür auch bei der zweiten Beratung keine Mehrheit. Er beschloss am Mittwoch, die 60 Prozent fix ins Gesetz zu schreiben. Ebenso lehnte der Nationalrat es ab, dass der Bundesrat die Mineralölsteuertarife an die Teuerung anpassen darf.
AUSSENPOLITIK: Der Bundesrat soll das Parlament konsultieren müssen, bevor er in internationalen Gremien Stellung nimmt zu Richtlinien, für deren Umsetzung das Schweizer Recht angepasst werden muss. Das will der Nationalrat. Er hat parlamentarische Initiativen von Marco Romano (CVP/TI) und Thomas Aeschi (SVP/ZG) angenommen. Die Initianten haben insbesondere Richtlinien der OECD und Organisationen wie dem Global Forum und deren Standards zur Steueramtshilfe im Blick. Der Bundesrat hatte erst im August neue Regeln in Kraft gesetzt. Diese genügen dem Nationalrat aber nicht. Über die Initiativen entscheidet nun der Ständerat.
UMWELT: Der Nationalrat will das System zur Reduktion des CO2-Ausstosses ändern. Er hat eine Motion der FDP angenommen, die die Teilnahme am Emissionshandelssystem für alle Unternehmen freiwillig machen soll. Heute sind rund 50 besonders energieintensive Unternehmen zur Teilnahme verpflichtet. Zudem will der Rat mit einer weiteren angenommenen FDP-Motion weiteren Unternehmen ermöglichen, sich von der CO2-Abgabe zu befreien. Das ist heute nicht in allen Wirtschaftszweigen möglich. Um der Abgabe zu entgehen, müssen die Unternehmen heute mit einer Zielvereinbarung aufzeigen, wie sie den CO2-Ausstoss reduzieren wollen.
GERICHTSVERFAHREN: Unternehmensjuristinnen und -juristen sollen in Strafverfahren nicht mitwirken müssen. Der Nationalrat hat stillschweigend eine parlamentarische Initiative von Christa Markwalder (FDP/BE) angenommen. Markwalder wies zur Begründung auf ausländische Gerichtsverfahren hin. Diese hätten gezeigt, dass Schweizer Unternehmen prozessuale Nachteile erlitten, weil in der Schweiz kein Zeugnis- und Editionsverweigerungsrecht für Unternehmensjuristen bestehe. Insbesondere in Verfahren in den USA seien Schweizer Unternehmen verpflichtet, die Korrespondenz ihrer in der Schweiz angestellten Unternehmensjuristen offenzulegen. Über die parlamentarische Initiative entscheidet nun der Ständerat.
RADAR: Der Nationalrat will Warnungen vor Radarkontrollen nicht wieder erlauben. Er hat eine Motion von Walter Wobmann (SVP/SO) mit diesem Anliegen abgelehnt. Wobmann hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass das Verbot nicht der Verkehrssicherheit diene, da bei einer Warnung die Höchstgeschwindigkeiten eingehalten werde. Es gehe vielmehr darum die Busseneinnahmen zu erhöhen. Dem widersprach Verkehrsministerin Doris Leuthard. Gewarnt werde nicht nur vor Radarkontrollen, sondern auch vor allgemeinen Verkehrskontrollen und Kontrollen mit Schwerpunkt Alkohol und Drogen. "Die Warnung dient nur dazu, die Kontrolle zu umgehen", sagte Leuthard. Das sei nicht im Sinne des Rechtsstaates.
RASER: Der Nationalrat möchte Richterinnen und Richtern mehr Spielraum lassen bei der Beurteilung von Raserdelikten. Mit einer Motion verlangt er vom Bundesrat die nötigen Gesetzesanpassungen. Der Ständerat, der nun am Zug ist, hat ein ähnliches Begehren im Juni abgelehnt. Der Nationalrat stellte sich am Mittwoch mit 101 zu 86 Stimmen bei 7 Enthaltungen hinter eine Motion von Jean-Paul Gschwind (CVP/JU). Nicht nur sanktionierte Autofahrerinnen und -fahrer, auch Rechtsprofessoren, Anwälte und Richter kritisierten die Massnahmen für Raser als zu rigoros, machte Gschwind geltend.
LASTWAGEN: Der Nationalrat will Rohholztransporte mit einem Gesamtgewicht von 44 Tonnen erlauben. Er hat eine Motion von Jean-François Rime (SVP/FR) mit dem Anliegen mit 108 zu 83 Stimmen angenommen. Rime will damit die wenig wettbewerbsfähige Schweizer Holzwirtschaft entlasten. Er bezifferte den Nutzen auf 5 Millionen Franken. Eine höhere Nutzlast spare Kosten und auch Emissionen. Der Bundesrat lehnte die Erhöhung der Gewichtslimite ab. Verkehrsministerin Doris Leuthard warnte vor einer stärkeren Belastung der Strassen. Zudem würden andere Branchen die gleiche Forderung stellen, wenn die Gewichtslimite für Rohholztransporte erhöht werde.
CHAUFFEURE: Der Nationalrat lehnt es ab, zuerst die Chefs zur Verantwortung zu ziehen, wenn Chauffeure die Arbeits- und Ruhezeiten nicht einhalten. Er hat eine Motion von Corrado Pardini (SP/BE) mit 138 zu 56 Stimmen abgelehnt. Gemäss dem Vorstoss hätten die Arbeitgeber beweisen müssen, dass sie die Arbeit so eingeteilt haben, dass ihre Angestellten die Gesetze einhalten können. Verkehrsministerin Doris Leuthard sprach sich ebenfalls gegen die Motion aus. Die vorhandenen rechtlichen Instrumente genügten, um Arbeitgeber angemessen zur Verantwortung zu ziehen, sagte sie. Andererseits könnten die Chauffeure milder bestraft werden, wenn sie die entsprechenden Umstände darlegen könnten.
NACHTFAHRVERBOT: Der Nationalrat will, dass das Nachtfahrverbot für Lastwagen verkürzt wird und nur noch zwischen 22 Uhr und 4 Uhr gilt statt wie bisher bis 5 Uhr. Wenn Lastwagen nicht zur selben Zeit unterwegs sind wie Pendler, könnte es weniger Staus geben und die Lieferungen kämen rechtzeitig in den Ladengeschäften an. Die grosse Kammer hiess eine Motion von Fabio Regazzi (CVP/TI) mit 98 zu 93 Stimmen gut. Bundesrätin Doris Leuthard stellte sich gegen die Motion. Aus Sicht des Lärmschutzes sei die Lockerung nicht zu akzeptieren. Für Frischwaren-Transporte gälten bereits Ausnahmen.
HELIKOPTERPILOTEN: Der Nationalrat will Druck ausüben, damit für Schweizer Helikopterpiloten die Altersgrenze 60 definitiv aufgehoben wird. Er hat eine Motion aus der CVP-Fraktion klar angenommen. Die Altersgrenze 60 wird in einer EU-Verordnung vorgeschrieben, die die Schweiz übernommen hat. Verkehrsministerin Doris Leuthard nannte die Motion unnötig: Bis 2018 habe der Bund bei der zuständigen Behörde der EU eine Ausnahmebewilligung für die über 60-Jährigen erhalten. "Wir arbeiten daran, damit dies dauerhaft als Ausnahme und somit als Abweichung vom europäischen Recht stipuliert werden kann", sagte sie. Das Begehren geht nun an den Ständerat.
EMISSIONSRECHTE: Unternehmen, die fehlende Schweizer CO2-Emissionsrechte nicht ohne erhebliche Beeinträchtigung ihrer Wettbewerbsfähigkeit erwerben können, bekommen mehr ausländische Emissionsminderungszertifikate zugesprochen. Thomas de Courten (SVP/BL) wollte die Praxis des Bundes zu dieser Härtefallregelungen ändern. Die angewandten Kriterien seien praxisfern und aus Sicht der Wirtschaft ungenügend. Der Nationalrat lehnte die Motion jedoch knapp ab. Umweltministerin Doris Leuthard hatte erklärt, das Verfahren für den Vollzug der Härtefallregelung sei in der CO2-Verordnung bereits klar definiert.
GEFAHRGUTTRANSPORTE: Der Bundesrat muss gegen seinen Willen prüfen, ob gefährliche Güter künftig obligatorisch per Bahn über den Simplon transportiert werden müssen. Der Nationalrat hat ein Postulat von Viola Amherd (CVP) mit 98 zu 94 Stimmen unterstützt. In den Augen des Bundesrates ist der Gefahrguttransport auf der Passstrasse genügend sicher. Auch beim Gefahrguttransport per Bahn gebe es Risiken, denn die Züge würden auch durch die Städte Visp und Brig fahren, sagte Verkehrsministerin Doris Leuthard.
BUSSEN: Busseneinnahmen sollen nicht an die Autofahrer verteilt werden. Der Nationalrat hat eine Motion von Walter Wobmann (SVP/SO) mit dem Anliegen abgelehnt. Wobmanns Ansicht nach handelt es sich bei Bussen faktisch um zusätzliche Steuereinnahmen. Es gehe nicht um mehr Verkehrssicherheit, sondern darum, die Kassen der Kantone zu füllen. Verkehrsministerin Doris Leuthard wies darauf hin, dass die Kantone selber entschieden, wie sie ihre Einnahmen verwenden wollten.
SRG I: Der Bundesrat muss keinen Bericht erstellen zur Umwandlung der SRG in eine Aktiengesellschaft. Der Nationalrat hat ein Postulat von Gregor Rutz (SVP/ZH) mit der Forderung mit 88 zu 87 Stimmen bei 8 Enthaltungen abgelehnt. Nach Ansicht von Rutz ist das Rechtskleid als Verein für die SRG nicht mehr passend. Die Umwandlung dränge sich auf, sagte er. Medienministerin Doris Leuthard wies Rutz darauf hin, dass die SRG kein Staatsbetrieb sei, sondern ein privatrechtlicher Verein. Es sei nicht am Gesetzgeber, die Rechtsform festzulegen. Leuthard hielt auch fest, dass die Unabhängigkeit der SRG durch die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft gefährdet wäre.
SRG II: Der Nationalrat will im Bericht des Bundes zum Service-public-Auftrag der SRG das Subsidaritätsprinzip ausgeleuchtet haben. Ein Auftrag an die SRG soll nur geprüft werden, wenn Private die Leistung nicht erbringen können. Der Nationalrat hat ein Postulat von Christian Wasserfallen (FDP/BE) mit dieser Forderung knapp angenommen, gegen den Willen des Bundesrates. Wasserfallen hatte argumentiert, dass so nicht mehr mit Gebühren finanziert werden müsse, was Privaten leisten könnten. Medienministerin Doris Leuthard wandte ein, dass das Subsidiaritätsprinzip weder in einem Gesetz noch in der Konzession stehe. Die SRG übernehme zum Beispiel die landesweite Kulturberichterstattung, weil diese für Private nicht lukrativ sei.
BAHN: Der Bundesrat muss keinen Bericht zur Schaffung eines Fonds für den Bau einer unterirdischen Magnetschwebebahn Swissmetro erarbeiten. Der Nationalrat hat ein Postulat von Céline Amaudruz (SVP/GE) abgelehnt. Eine derartige Schwebebahn würde die Reisezeiten zwischen den Städten beträchtlich verkürzen, sagte sie. Die Reisezeit zwischen Bern und Zürich würde bei Geschwindigkeiten von über 400 Kilometern nur noch 12 Minuten betragen. Zur Finanzierung schwebte Amaudruz die Ausgabe von Anleihen mit langen Laufzeiten vor. Es gebe bereits einen Bahn-Fonds, sagte Verkehrsministerin Doris Leuthard. Swissmetro könnte theoretisch daraus finanziert werden. Doch müsse die Machbarkeit des Projekts nachgewiesen werden.
REGENBOGENFORELLEN: Der Nationalrat hat den "Einbürgerungsantrag" von Lukas Reimann (SVP/SG) für die Regenbogenforelle abgewiesen. Reimanns enstprechende Motion wies er mit 118 zu 70 Stimmen ab. Die Art sei seit Mitte des 19. Jahrhundert in der Schweiz bekannt und die Regenbogenforelle eine "echte Eidgenossin". In Österreich, wo sie zugelassen sei, verdränge sie keine einheimischen Arten. Bundesrätin Doris Leuthard meinte zu der Forderung, eine gute Durchmischung der Bevölkerung und Einwanderung sei nicht schlecht. Aber die Regenbogenforelle sei hierzulande nur eingesetzt worden, damit die Fischer mehr zu fangen hätten. Weil sich herausgestellt habe, dass die Fremde sehr gefrässig sei und die einheimische Bachforelle gefährde, habe man rasch wieder damit aufgehört.
Zuwanderung - Nationalrat vermeidet bei Zuwanderung Konfrontation mit der EU
(sda) Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative hat am Mittwoch die Emotionen im Nationalrat hoch gehen lassen. Überraschungen blieben aus. Die Mehrheit stimmte für den "Inländervorrang light", der mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar ist.
Während der gut sieben Stunden dauernden Debatte schenkten sich die gegnerischen Lager nichts. Zur Diskussion stand ein Umsetzungskonzept der Staatspolitischen Kommission, das stark von den Anträgen des Bundesrats abweicht.
SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz (BE) bezeichnete dieses als einen in "Hochglanz verpackten Verfassungsbruch". Damit würden der Volkswille klar missachtet und die direkte Demokratie beerdigt. SP-Sprecher Cédric Wermuth (AG) entgegnete, das Parlament tue nichts anderes, als einen Normenkonflikt zu lösen.
Die Vertreter von FDP, SP, BDP und GLP zeigten keinerlei Neigung, die Bilateralen einer wortgetreuen Umsetzung zu opfern. Er habe keinen Auftrag, "dieses Land und seinen Wohlstand an die Wand zu fahren", sagte BDP-Präsident Martin Landolt (GL). Die SVP ihrerseits verlängerte die Redezeit ihrer Redner mit Zusatzfragen um ein Vielfaches. Die Emotionen gingen derart hoch, dass Ratspräsidentin Christa Markwalder (FDP/BE) zu gegenseitigem Respekt aufrufen musste.
Vorsprung statt Vorrang
Dagegen nehmen sich die Beschlüsse des Nationalrats geradezu unspektakulär aus. Vorgesehen sind drei Stufen von Massnahmen. Zunächst muss der Bundesrat dafür sorgen, dass das inländische Arbeitskräftepotenzial besser genutzt wird. Überschreitet die Zuwanderung trotzdem einen bestimmten Schwellenwert, können Arbeitgeber verpflichtet werden, offene Stellen dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zu melden.
Eine Pflicht, Inländer anzustellen, gibt es aber nicht. Der Vorrang besteht laut Kommissionssprecher Kurt Fluri (FDP/SO) allein darin, den inländischen Arbeitskräften einen zeitlichen Vorsprung auf die Konkurrenz aus dem Ausland zu verschaffen.
Bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen sind gemäss den Beschlüssen des Nationalrats weiter gehende "Abhilfemassnahmen" möglich. Diese offene Formulierung schliesst selbst Höchstzahlen nicht aus. Solche könnten aber nur mit Zustimmung der EU beschlossen werden.
Faktisches Vetorecht
Auch einseitige Massnahmen standen zur Diskussion. CVP-Präsident Gerhard Pfister (ZG) hatte vorgeschlagen, dass der Bundesrat befristete Abhilfemassnahmen beschliessen kann, wenn mit der EU innerhalb von 60 Tagen keine Einigung zu Stande kommt. Ohne diese Möglichkeit werde der EU faktisch ein Vetorecht eingeräumt, argumentierte er.
Laut Pfister wäre das so lange mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar, wie der Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt nicht tatsächlich eingeschränkt wird. Justizministerin Simonetta Sommaruga bestätigte diese Auslegung. Sie lehnte den Antrag trotzdem ab: Den Bundesrat zu beauftragen, nötigenfalls in eigener Kompetenz Massnahmen im Widerspruch zum Freizügigkeitsabkommen zu beschliessen, gehe "viel zu weit", sagte sie.
Die Vertreter der Fraktionen warnten davor, eine Verletzung des Freizügigkeitsabkommens in Kauf zu nehmen. Massnahmen, die der gemischte Ausschuss nicht genehmige, seien mit dem Abkommen definitionsgemäss nicht vereinbar, sagte GLP-Fraktionschefin Tiana Moser (ZH). Nadine Masshardt (SP/BE) warf Pfister vor, mit seinem Antrag Horizon 2020 zu gefährden. FDP-Sprecher Philippe Nantermod (VS) warnte vor "Verrat" am Vertragspartner EU.
Der Nationalrat lehnte Pfisters Vorschlag mit 98 zu 93 Stimmen bei 5 Enthaltungen ab. Auch die SVP, die sich für eine Umsetzung mit Kontingenten und einem strikten Inländervorrang eingesetzt hatte, fand mit ihren Anträgen keine Mehrheit. Ihrer Ansicht nach wird die Initiative mit den Beschlüssen des Nationalrats nicht umgesetzt. "Wir haben nichts", stellte Parteipräsident Albert Rösti (BE) am Ende der Debatte fest. Darum stehe auch ein Referendum nicht zur Diskussion.
Kleine Korrekturen
Angenommen hat der Nationalrat einen Antrag Pfisters, Kurzaufenthalter, die die Schweiz nach höchstens neun Monaten wieder verlassen, von allfälligen Abhilfemassnahmen auszunehmen. Auch das vom Bundesrat vorgeschlagene härtere Regime in der Sozialhilfe fand eine Mehrheit: Ausländerinnen und Ausländer, die zur Stellensuche in die Schweiz kommen, haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe.
Wer die Stelle verliert, soll nach einigen Monaten auch sein Aufenthaltsrecht verlieren. Der Nationalrat halbierte die Fristen gegenüber dem Bundesrat, was laut Sommaruga mit dem Freizügigkeitsabkommen nicht vereinbar ist.
Abgelehnt hat der Nationalrat die Anträge des Bundesrats, Kontingente für Studierende, Rentner, Patienten, Familienangehörige von Kurzaufenthaltern und vorläufig Aufgenommenen sowie andere nicht Erwerbstätige einzuführen. Diese hätten Bürgerinnen und Bürger von Drittstaaten betroffen. In diesen Bereichen finde keine Masseneinwanderung statt, erklärte Kommissionssprecher Fluri.
Die Vorlage geht nun an den Ständerat. Mitglieder der kleinen Kammer haben bereits Zweifel an der Verfassungsmässigkeit der Umsetzung geäussert. Die Debatte im Ständerat dürfte den Startschuss geben für die Diskussion über die Anpassung des Zuwanderungsartikels. Basis dafür könnte ein allfälliger Gegenvorschlag zur RASA-Initiative sein. Der Bundesrat muss bis Ende Oktober entscheiden, ob er einen solchen vorschlagen will.
Der Ständerat in Kürze
(sda) TARMED: Am Ärzte-Tarif Tarmed dürfte sich bis Ende 2017 nichts ändern. Gesundheitsminister Alain Berset sagte am Mittwoch im Ständerat, die Tarifpartner seien auf seine Bitte übereingekommen, die Gültigkeit der heutigen Tarifstruktur zu verlängern. Diese Übereinkunft hätten sie am 15. September zur Genehmigung vorgelegt. Der Bundesrat werde rasch darüber entscheiden. Mit der Übergangslösung will Berset eine Situation ohne gültige Tarifstruktur verhindern. Für 2018 soll dann eine neue Lösung gefunden werden. Die Tarmed-Verhandlungen waren im Sommer für gescheitert erklärt worden. Der Bund gewährte den Tarifpartnern aber eine Nachfrist von vier Monaten, um sich auf eine neue Tarifstruktur zu einigen. Berset äusserte sich im Rahmen der Behandlung einer Interpellation.
KRANKENVERSICHERUNG: Versicherte sollen für ambulante Behandlungen ihren Arzt frei wählen können, ohne dass ihnen dadurch finanzielle Nachteile entstehen. Das Parlament hat die letzte Differenz ausgeräumt und das geänderte Krankenversicherungsgesetz unter Dach und Fach gebracht. Heute werden die Kosten höchstens nach dem Tarif vergütet, der am Wohnort oder am Arbeitsort eines Versicherten oder in dessen Umgebung gilt. Gleichzeitig wird mit der Revision die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen verstärkt. Weitere Änderungen betreffen Personen, die in einem EU- oder EFTA-Staat wohnen und in der Schweiz versichert sind. Neu können Grenzgänger sowie Rentner und ihre Familienangehörigen bei einer stationären Behandlung in der Schweiz unter den Listenspitälern frei wählen. Damit ist das Geschäft bereit für die Schlussabstimmung.
FRANCHISE: Kranke könnten sich künftig stärker an den Kosten beteiligen müssen. Der Ständerat möchte die tiefsten Franchise in der Krankenversicherung erhöhen. Er hat einer Motion von Ivo Bischofberger (CVP/AI) zugestimmt, mit 31 zu 12 Stimmen bei einer Enthaltung. Sagt auch der Nationalrat Ja, wird der Bundesrat beauftragt, das Krankenversicherungsgesetz anzupassen: Die Franchisen sollen regelmässig der Kostenentwicklung der Krankenversicherung angepasst werden, insbesondere die Standardfranchise von 300 Franken. Damit soll die Eigenverantwortung gestärkt werden. Gesundheitsminister Alain Berset stellte sich gegen den Vorstoss. Der Bundesrat überprüfe die Franchise regelmässig und erhöhe sie wenn nötig, hielt er fest. Mit 300 Franken sei die Standardfranchise heute doppelt so hoch wie 1996.
PFLEGE: Der Wohnkanton soll die ungedeckten Pflegekosten auch dann übernehmen, wenn eine Person in ein Pflegeheim in einem anderen Kanton eintritt. Dafür hat sich der Ständerat ohne Gegenstimme in einem Gesetzesentwurf ausgesprochen. Damit soll die Pflegefinanzierung klar geregelt werden. Auf Kritik stiess in der Vernehmlassung aber, dass der Herkunftskanton die Beiträge festlegen soll, die er zahlt. Diese könnten tiefer sein als jene, die im Standortkanton. Kommissionssprecherin Pascale Bruderer Wyss (SP/AG) stellte gewisse Nachteile nicht in Abrede. Diesen stünden aber gewichtigere Vorteile gegenüber. Der Bundesrat unterstützt die geplante Gesetzesänderung.
ARMEE: Der Ständerat will den Bund bei Rüstungsbeschaffungen nicht einschränken. Er hat eine Motion aus dem Nationalrat einstimmig abgelehnt. Die grosse Kammer wollte verhindern, dass die Armee nächstes Jahr wegen des sistierten BODLUV-Projekts weniger Geld bekommt. Das Rüstungsprogramm 2017 sollte daher so ausgestaltet werden, dass keine Restkredite entstehen. Im Ständerat stiess das Anliegen auf wenig Verständnis. Die Motion schränke das Verteidigungsdepartement (VBS) in seiner Flexibilität und Handlungsfreiheit unnötig ein, befand die Mehrheit. Damit ist der Vorschlag vom Tisch.
GESUNDHEIT: Der Ständerat will wissen, welche Kantone ihre Spitäler in welchem Ausmass auf wettbewerbsverzerrende Weise in den Jahren 2012 bis 2015 subventioniert haben. Er hat eine entsprechende Motion angenommen. Es gebe deutliche Hinweise auf Wettbewerbsverzerrungen bei Spitälern, sagte Kommissionssprecher Hans Stöckli (SP/BE). Gesundheitsminister Alain Berset argumentierte vergeblich, die heutige Datenlage werde es nicht möglich machen, die gewünschten Zahlen zu liefern. Um die durchaus unbefriedigende Situation zu verbessern, müsse geprüft werden, wie verlässliche Daten generiert werden könnten. Nun ist der Nationalrat an der Reihe.
ZULASSUNGSSTOPP: Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat eine Standesinitiative des Kantons Tessins zur Verlängerung des Zulassungsstopps für neue Arztpraxen abgelehnt. Das Parlament hat den Zulassungsstopp bereits verlängert und das Anliegen der Initiative damit erfüllt.