​Der Donnerstag, 3. Mai 2012 im Parlament

Der Nationalrat in Kürze

(sda) Tankstellenshops sollen rund um die Uhr geöffnet haben und das gesamte Sortiment verkaufen dürfen. Der Nationalrat hat am Donnerstag eine Gesetzesänderung gutgeheissen. Stimmt auch der Ständerat zu, wollen die Gewerkschaften das Referendum ergreifen. Heute dürfen Tankstellenshops nachts zwar Kaffee oder Sandwiches verkaufen, nicht aber andere Produkte. Viele Shops müssen deshalb einen Teil ihres Lokals absperren. Mit 105 zu 73 Stimmen bei 3 Enthaltungen hat der Nationalrat nun einer Änderung zugestimmt, die auf eine parlamentarische Initiative aus den Reihen der FDP zurück geht. Neu sollen Tankstellenshops auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrsstrassen auch sonntags und nachts ohne Sonderbewilligung Personal beschäftigen dürfen.

  • LEGISLATURPLAN: Der Nationalrat hat am Donnerstag die Beratung der Legislaturplanung 2011-2015 abgeschlossen. Wie schon am Vortag schrieb er dem Bundesrat ein paar zusätzliche Aufgaben in die politische Agenda. In der Gesundheitspolitik etwa soll der Bundesrat die Finanzierungsstrukturen vereinfachen, indem eine monistische Finanzierung - aus einer Hand - eingeführt wird. Weiter soll der Bundesrat bei den Sozialversicherungen Fiskalregeln und eine Schuldenbremse einführen. Die grösste Änderung am der Planung des Bundesrats hatte der Nationalrat bereits am Mittwoch vorgenommen. Der Rat ergänzte die sechs Leitlinien des Bundesrats - etwa zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Schweiz, zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts oder zur Energiewende - mit einer Leitlinie zur Förderung der Gleichstellung von Mann und Frau.
  • IMPORTVERBOT: Die Einfuhr von Reptilienhäuten aus tierquälerischer Produktion soll unterbunden werden. Häute aus Indonesien sollen gar nicht mehr in die Schweiz importiert werden dürfen. Dies verlangt der Nationalrat. Er hat einer Motion von Franziska Teuscher (Grüne/BE) mit 91 zu 73 Stimmen bei 3 Enthaltungen zugestimmt. Nun muss noch der Ständerat entscheiden. Auslöser für den Vorstoss war ein Beitrag der "Rundschau" des Schweizer Fernsehens. Dieser habe anhand schockierender Bilder gezeigt, wie in Indonesien Schlangen und Echsen für Uhrenarmbänder und andere modische Accessoires auf grausame Art und Weise sterben müssten, sagte Teuscher. Schlangen sei bei lebendigem Leib die Haut abgezogen worden. Der Bundesrat stellt sich gegen ein Importverbot. "Wir können das Problem nicht in der Schweiz und für die Schweiz lösen", sagte Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann.
  • PERSONENFREIZÜGIGKEIT: Der Bundesrat soll im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit den gesetzlichen Handlungsbedarf in Bezug auf Normalarbeitsverträge sowie mit Blick auf die Problematik der Subunternehmen abklären. Der Nationalrat hat es mit 112 zu 49 Stimmen abgelehnt, ein Postulat mit dieser Forderung als erfüllt zu erklären. Aus den Reihen der SVP war argumentiert worden, dass dies nicht mehr nötig sei, da der Bundesrat dem Parlament bereits einen Vorschlag für schärfere flankierende Massnahmen unterbreitet habe. Die Mehrheit im Nationalrat war jedoch der Ansicht, dass es ein falsches Zeichen wäre, das Postulat zu diesem Zeitpunkt zu versenken.
  • ARBEITSBEDINGUNGEN I: Der Bundesrat muss prüfen, wie die Einhaltung der Vorschriften über den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz besser kontrolliert werden könnte. Der Nationalrat hat mit 85 zu 74 Stimmen bei 3 Enthaltungen ein Postulat von Max Chopard (SP/AG) angenommen. Die aus mangelhaftem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz entstehenden Kosten seien enorm, argumentierte der SP-Nationalrat. So litten etwa 18 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung an Rückenschmerzen. Die Kontrolle durch die kantonalen Arbeitsinspektorate sei aber bescheiden. Der Bundesrat zeigte sich bereit, Möglichkeiten für eine Verbesserung zu prüfen. Dagegen stellte sich die SVP.
  • ARBEITSBEDINGUNGEN II: Dem Luftfahrt-Bodenpersonal sollen nur noch zwölf arbeitsfreie Sonntage garantiert werden. Der Nationalrat hat eine Motion mit dieser Forderung mit 104 zu 61 Stimmen gutgeheissen. Heute müssen die Flughäfen und die Fluggesellschaften dem Bodenpersonal gemäss Gesetz 26 arbeitsfreie Sonntage gewähren. Meist müssen die Angestellten des Bodenpersonals dennoch mehr arbeiten. Dank Sonderbewilligungen werden de facto schon heute in der Regel nur zwanzig Tage gewährt. Der Rat folgte dem Motionär Jean-René Germanier (CVP/VS), der es inakzeptabel findet, dass die Luftfahrt gegenüber anderen öffentlichen Verkehrsmitteln benachteiligt wird. Die Motion geht nun an den Ständerat.
  • DIPL. SOMMELIER: Für den Beruf Sommelier soll ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis oder ein Fachausweis eingeführt werden. Dies verlangt der Nationalrat. Er hat mit 113 zu 44 Stimmen bei einer Enthaltung eine Motion des ehemaligen Waadtländer Nationalrats Josef Zisyadis (PdA) angenommen. Der Schweizer Weinbau erlebe einen Aufschwung, befanden die Befürworter. Deshalb sollte der Sommelierberuf gefördert werden. Die Motion geht nun an den Ständerat. Der Bundesrat möchte nicht aktiv werden. Eine eidgenössische Berufsprüfung könne nur geschaffen werden, wenn die Branche bereit sei, die Verantwortung für die Ausbildung zu übernehmen, argumentiert er.
  • DIPL. MILITÄR: Für die Ausbildungsgänge der Schweizer Armee sollen keine speziellen Titel eingeführt werden. Der Nationalrat hat eine Motion des ehemaligen SVP-Nationalrats Jean-Pierre Graber (BE) abgelehnt, die dies verlangte. Graber dachte insbesondere an einen Bachelor- und einen Master-Studiengang in Militärwissenschaften. Dadurch würde die Attraktivität der Armee gesteigert, befand er. Der Bundesrat stellte sich indes dagegen. Die Vergabe von Titeln setze voraus, dass auf dem Arbeitsmarkt ein Bedürfnis nach spezifisch ausgebildeten Fachleuten bestehe, gab er zu bedenken.
  • REBBAU: "Petite Arvine" soll als traditionelle Wein-Bezeichnung anerkannt werden - genauso wie Dôle (VS), Fendant (VS), Goron (VS), Salvagnin (VD) oder Nostrano (TI). Der Nationalrat hat mit 136 zu 24 Stimmen eine entsprechende Motion von Christophe Darbellay (CVP/VS) gutgeheissen, über die noch der Ständerat befinden muss. Vergeblich hielt der Bundesrat dagegen, dass der Schutz von "Petite Arvine" als traditionelle Bezeichnung gegen internationales Recht verstossen würde. Bei "Petite Arvine" handele es sich nämlich auch um eine Rebsorte. Rebsortennamen könnten aber weder im schweizerischen noch im europäischen Recht geschützt werden.
  • VERWALDUNG: Der Bundesrat soll Massnahmen gegen die Verbuschung und Verwaldung landwirtschaftlicher Nutzfläche ergreifen. Dies verlangt der Nationalrat. Er hat eine Motion von Erich von Siebenthal (SVP/BE) mit 98 zu 56 Stimmen bei 11 Enthaltungen gutgeheissen. Diese verlangt, dass die verlorene Nutzfläche wieder hergestellt wird. Der Bundesrat empfahl dem Rat, die Motion abzulehnen. Er verwies auf die laufende Revision des Waldgesetzes. Neu könne in Gebieten mit zunehmender Waldfläche auf Rodungsersatz verzichtet werden, sagte Landwirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann. Die Problematik werde zudem in der nächsten agrarpolitischen Reformetappe aufgegriffen. Nun muss der Ständerat entscheiden.
  • MILCHMARKT: Der Bund soll nach dem Willen des Nationalrates stärker in den Milchmarkt eingreifen. Die grosse Kammer hat einem Vorstoss von Jacques Bourgeois (FDP/FR) mit 93 zu 68 Stimmen bei 3 Enthaltungen zugestimmt. Der Motionär möchte unter anderem, dass der Bund für Verträge zwischen Milchverarbeitern und ihren Lieferanten Mindeststandards vorschreibt. Seit der Aufhebung der Milchkontingentierung seien neue Instrumente zur Regulierung des Marktes geschaffen worden, doch würden diese kaum genutzt, monierte er. Die Motion geht nun an den Ständerat.
  • DIREKTZAHLUNGEN: Der Bundesrat muss das Direktzahlungssystem nicht schon vor dessen Beratung im Rahmen der Agrarpolitik 2014-2017 überarbeiten. Der Nationalrat hat eine entsprechende Motion der SVP-Fraktion mit 103 zu 56 Stimmen abgelehnt. Der Rat folgte dem Bundesrat, der argumentierte, dass das Parlament im Herbst die Gelegenheit habe zu beurteilen, ob die Vorschläge des Bundesrats für die Neugestaltung des Direktzahlungssystems dem Ziel einer produzierenden Landwirtschaft gerecht werde.
  • WAFFENEXPORTE: Die Ausfuhr von Kriegsmaterial in autokratisch geführte Länder soll nicht verboten werden. Der Nationalrat hat eine Motion von Hildegard Fässler (SP/SG) mit dieser Forderung mit 91 zu 64 Stimmen bei 15 Enthaltungen abgelehnt. Die bestehenden Gesetze und Verordnungen seien bereits heute restriktiv, fand die Mehrheit im Einklang mit dem Bundesrat. Mit dem gleichen Argument wurde eine Motion des früheren Nationalrats Jo Lang (Grüne/ZG) abgelehnt. Dieser hatte einen sofortigen Kriegsmaterial-Exportstopp für die Länder des Mittleren und Nahen Ostens sowie in den Maghreb gefordert.
  • HOTELS: Schweiz Tourismus soll nicht kostenlose Buchungsplattformen für alle in der Schweiz direkt vermarktbaren Hotelzimmer betreiben müssen. Der Nationalrat hat einer Motion von Susanne Leutenegger Oberholzer (SP/BL) mit dieser Forderung abgelehnt. Auch der Bundesrat hielt nichts von der Idee. Bei den Online-Buchungsplattformen existiere heute ein fuktionierender Markt mit einem intensiven Wettbewerb zwischen den Anbietern, gab er zu bedenken. Leutenegger Oberholzer kritisierte ihrerseits, diese Plattformen kassierten bis zu 30 Prozent des gebuchten Umsatzes - auf Kosten der Hotels oder der
    Konsumenten.
  • HANDWERK: Die Schweiz soll keine Auszeichnung für die "besten Arbeiterinnen und Arbeiter" einführen. Der Nationalrat hat eine Motion mit dieser Forderung mit 116 zu 43 Stimmen abgelehnt. Die Anforderungen der einzelnen Tätigkeiten und Branchen sei zu unterschiedlich, um einen solchen Titel zu vergeben, argumentierte der Bundesrat. Zur Förderung des Ansehens der Berufsbildung unterstütze der Bund bereits die Berufsmeisterschaften.

 

Der Mittwoch, 2. Mai 2012 im Parlament

Der Nationalrat in Kürze

(sda) Der Nationalrat hat am Mittwoch ohne Enthusiasmus die Beratungen zur Legislaturplanung 2011-2015 aufgenommen. Er schrieb dabei dem Bundesrat als zusätzliche Leitlinie die verstärkte Förderung der Gleichstellung von Mann und Frau in die politische Agenda.

Die Schweiz soll für die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter sorgen - in Familie, Ausbildung und Arbeit, aber auch beim Rentenalter, fordert nun eine der insgesamt sieben Leitlinien der Legislaturplanung.
Vergeblich versuchte die Linke, das Rentenalter 65 für Frauen aus der Leitlinie zu streichen. Die Linke zeigte sich bereit, diese "Kröte" zugunsten der Gleichstellungsförderung zu schlucken. Keine Chance hatten auch Anträge der SVP, zahlreiche der von der vorberatenden Kommission vorgeschlagenen Massnahmen zur Förderung der Chancengleichheit wieder zu streichen.
So hält der Legislaturplan nun beispielsweise ausdrücklich fest, dass der Bundesrat im Kader der Bundesverwaltung den Anteil der Frauen - aber auch der sprachlichen Minderheiten - deutlich erhöhen soll.

Verwaltungsaufwand senken, Emissionsabgaben abschaffen

Der Nationalrat nahm an den vom Bundesrat vogeschlagenen Leitlinien - etwa jener, wonach sich der Bundesrat für einen wettbewerbsfähigen Standort Schweiz einsetzt - zahlreiche Änderungen vor. So wurde der Bundesrat etwa beauftragt, den administrativen Aufwand für Unternehmen zu senken, die Industrie zu fördern und die Emissionsabgaben vollständig abzuschaffen.
Der Bundesrat soll auch den Standort Genf für internationale Organisationen stärken und versuchen in diesen Organisationen dank einer Personalstrategie mehr Schweizerinnen und Schweizer zu platzieren. Aus der Planung gestrichen wurde das Ziel, mit der EU ein Landwirtschaftsabkommen abzuschliessen.
Gescheitert ist die SVP mit Anträgen, die Beiträge an internationale Organisationen zu kürzen, insbesondere jene für den Währungsfonds IWF. Hingegen stieg der Nationalrat auf die Forderung ein, die Entwicklungszusammenarbeit an Rückübernahmeabkommen für abgewiesene Asylsuchende zu binden.

Kritik am Planungsinstrument

Trotz des siebenstündigen Ringens um Dutzende Änderungsanträge schimmerte in der Debatte immer wieder durch, dass die Parlamentarier vom Instrument der Legislaturplanung oder dessen Umsetzung durch den Bundesrat nicht restlos überzeugt sind.
Unzufrieden zeigte sich vor allem die SVP. Der Legislaturplan kranke daran, dass es sich um ein Sammelsurium von anstehenden Aufgaben der Verwaltungseinheiten handle ohne Prioritätensetzung, sagte Nationalrat Christoph Blocher (SVP/ZH) im Namen seiner Fraktion.
Ein richtiger Plan gehe von den Hauptproblemen der nächsten vier Jahre aus und setze Prioritäten. Die Ziele müssten konkret und messbar sein, sagte Blocher. Seine Partei wollte deshalb den Plan an den Bundesrat zurückweisen mit dem Auftrag, die Ziele und Leitlinien zu präzisieren und Prioritäten zu setzen. Die Ziele sollten spezifisch, messbar, anspruchsvoll und realistisch formuliert sein, forderte er.

Trockenübung

Auch andere Parteienvertreter waren der Meinung, dass das Instrument der Legislaturplanung in dieser Form nicht befriedigt. Kritisiert wurde etwa, dass der Plan vom Parlament abgesegnet werden muss, obwohl es sich um ein Programm der Exekutive handelt.
Insbesondere bürgerliche Politiker monierten, es sei eine Trockenübung mit wenig konkreten Folgen, da die Planung meist von der Realität überholt werde. FDP, CVP, BDP und GLP forderten, dass das Instrument erneut angepasst wird.
Die Legislaturplanung wurde in der Vergangenheit bereits mehrmals reformiert. Damit der Bundesrat durch eine Ablehnung des Programms nicht behindert wird, gibt es heute beispielsweise keine Gesamtabstimmung mehr. Zudem ist Eintreten obligatorisch.
Die FDP warb dafür, dass der Bundesrat bei der nächsten Legislaturplanung einen interdepartementalen Ansatz verfolgt und nicht einen sektoriellen. Die FDP verspricht sich davon, dass es zu einer stärkeren Prioritätensetzung kommt.

Chancenloser Rückweisungsantrag

Trotz des weit verbreiteten Unmuts lehnten mit Ausnahme der SVP alle Parteien einen Rückweisungsantrag ab. Mit 125 zu 43 Stimmen sagte der Nationalrat nein. Bei einer Rückweisung gehe bloss viel Zeit verloren, argumentierte die Mehrheit. Die Legislaturplanung könnte mit der Rückweisung erst Ende Jahr verabschiedet werden, wenn die Legislatur nur noch 3 Jahre dauere.
Im Namen der vorberatenden Kommission wies Isabelle Moret (FDP/VD) auch darauf hin, dass die Legislaturplanung weder ein Koalitionsprogramm noch ein Parteiprogramm sei. Nicht alle Anliegen der Parteien könnten aufgenommen werden.
Die Debatte wurde nach Beratung von 4 Leitlinien unterbrochen. Sie wird am Donnerstagmorgen zu Ende geführt. Noch nicht behandelt wurden die Ziele zum sozialen Zusammenhalt, zur Energie- und Verkehrspolitik sowie zu Bildung und Forschung.

 

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