Der Nationalrat in Kürze
(sda) VERDINGKINDER: Ehemalige Verdingkinder und andere Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen sollen 20'000 bis 25'000 Franken erhalten. Nach einer emotionalen Debatte hat der Nationalrat am Mittwoch dem indirekten Gegenvorschlag zur Wiedergutmachungsinitiative mit 143 zu 26 Stimmen bei 13 Enthaltungen zugestimmt. Die Volksinitiative lehnte er stillschweigend ab. Nun muss noch der Ständerat entscheiden. Die Initianten haben in Aussicht gestellt, das Volksbegehren zurückzuziehen, sollte der Gegenvorschlag von beiden Räten angenommen werden. Die Wiedergutmachungsinitiative verlangt Zahlungen im Umfang von 500 Millionen Franken. Mit dem Gegenvorschlag stünden 300 Millionen Franken zur Verfügung.
VATERSCHAFTSURLAUB: Der Nationalrat ist gegen die Einführung eines zweiwöchigen bezahlten Vaterschaftsurlaubs. Er hat eine parlamentarische Initiative von CVP-Nationalrat Martin Candinas (GR) abgelehnt, wenn auch relativ knapp. Candinas hatte vorgeschlagen, den Vaterschaftsurlaub wie den Mutterschaftsurlaub über die Erwerbsersatzordnung (EO) zu finanzieren. Die Kosten dafür würden sich auf rund 200 Millionen Franken belaufen. Nach Ansicht des Initianten würden von der Auszeit für Väter nicht nur die Familien, sondern die ganze Gesellschaft profitieren. Nach Ansicht von Kommissionssprecherin Regine Sauter (FDP/ZH) ist es Sache der Familien, sich zu organisieren. Die Männer könnten wenn nötig Ferien nehmen.
LANDWIRTSCHAFT: Der Nationalrat macht den Bauern ein Millionengeschenk: Sie sollen auf Gewinnen aus dem Verkauf von Bauland keine Bundessteuer zahlen müssen. Der Nationalrat will damit ein Bundesgerichtsurteil von 2011 rückgängig machen. Damals beschränkten die Lausanner Richter das Steuerprivileg auf Grundstücke, die dem Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht unterstellt sind. Würde die Praxisänderung rückgängig gemacht, würde das beim Bund und bei den Sozialwerken zu geschätzten Ausfällen von 400 Millionen Franken pro Jahr führen. Der Gesetzesänderung zum Durchbruch verholfen haben SVP, CVP und ein Teil der FDP. Für sie handelt es sich um eine Korrektur, während die Gegner von ungerechtfertigten Steuerprivilegien sprachen.
PFLEGE: Pflegefachpersonen dürfen auch künftig nicht direkt mit den Krankenkassen abrechnen. Der Nationalrat hat sich gegen eine Gesetzesänderung ausgesprochen. Das Ziel stiess auf breite Zustimmung: Der Pflegeberuf sollte attraktiver werden, damit der steigende Pflegebedarf gedeckt werden kann. Die konkreten Gesetzesänderungen waren jedoch umstritten. Mit 118 zu 67 Stimmen beschloss der Rat, nicht auf die Vorlage einzutreten. Damit ist der Gesetzesentwurf vom Tisch. Zu Fall brachte ihn eine Allianz von SVP und SP. Die Gegner aus den Reihen der SVP warnten vor höheren Kosten. Jene aus den Reihen der SP störten sich daran, dass die Krankenkassen die Wahl hätten, mit welchen Pflegefachpersonen sie Verträge abschliessen. Der Verband der Pflegerinnen und Pfleger will nun eine Volksinitiative lancieren.
ÄRZTESTOPP: Der Nationalrat ist damit einverstanden, den Zulassungsstopp für Ärzte noch einmal für drei Jahre zu verlängern. Der Entscheid wurde nötig, weil es der Nationalrat im Dezember abgelehnt hat, den Ärztestopp als dauerhafte Lösung ins Gesetz zu schreiben. Die geltende Zulassungsbeschränkung läuft Mitte Jahr aus. Danach, so die Befürchtung, würde die Zahl der neu niedergelassenen Spezialärzte insbesondere aus der EU sprunghaft ansteigen. Das würde sich direkt auf die Kosten auswirken. Der Bundesrat hat nun den Auftrag, Alternativen zum Zulassungsstopp zu erarbeiten.
VETO: Der Nationalrat will ein Vetorecht bei Verordnungen. Er hat eine parlamentarische Initiative des Zuger SVP-Nationalrats Thomas Aeschi klar angenommen. Dieser will eingreifen können, wenn eine Verordnung dem Geist eines Gesetzes zuwiderläuft. Aeschi sprach von einer "Notbremse". Die Gegner warnten, das Verordnungsveto könnte zu einer Blockadepolitik führen. Das Vetorecht stand schon mehrmals zur Debatte. Frühere Versuche, ein solches einzuführen, waren jeweils am Widerstand des Ständerats gescheitert.
PARLAMENT: Der Nationalrat will Steuerprivilegien für Parlamentarierinnen und Parlamentarier abschaffen. Künftig sollen diese die jährliche pauschale Entschädigung für Personal- und Sachausgaben in der Höhe von 33'000 Franken versteuern müssen. Oppositionslos hat der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative von Susanne Leutenegger Oberholzer (SP/BL) zugestimmt. Er hält es für richtig, die Mitglieder des Bundesparlaments steuerrechtlich gleich zu behandeln wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger. Nun entscheidet der Ständerat. Bei der pauschalen Entschädigung stehen weitere Änderungen zur Diskussion, darunter persönliche Mitarbeiter für Parlamentsmitglieder.
FLEISCH: Der Nationalrat will keine Deklarationspflicht für Import-Fleisch, das nicht nach den Standards des Schweizer Tierschutzgesetzes produziert wurde. Er hat eine parlamentarische Initiative von Pierre Rusconi (SVP/TI) mit 99 zu 87 Stimmen bei 3 Enthaltungen abgelehnt. Der Vorstoss ist damit vom Tisch. Rusconi forderte einen Vermerk auf Produkten im Geschäft und auf der Speisekarte im Restaurant: "Aus Haltungsform, Jagd oder Schlachtung, die nicht Schweizer Recht entsprechen". Die Schweizer Bauern seien mit strengen Auflagen in der Fleischproduktion konfrontiert, argumentierten die Befürworter. Das sollte honoriert werden. Die Gegner warnten vor grossem Kontrollaufwand.
KINDERPAUSE: Wer nach einer längeren Kinderpause wieder ins Berufsleben einsteigen will, kann weiterhin nicht an Bildungsmassnahmen teilnehmen, die von der Arbeitslosenversicherung bezahlt werden. Der Nationalrat hat eine parlamentarische Initiative für eine Änderung abgelehnt, mit 103 zu 89 Stimmen. Der Vorstoss von SP-Nationalrat Jacques-André Maire (NE) ist damit vom Tisch. Maire argumentierte vergeblich, die Änderung wäre ein wirksamer Beitrag zur Behebung des Fachkräftemangels. Heute können Personen, die wieder ins Erwerbsleben einsteigen möchten, nur dann an finanzierten Bildungsmassnahmen teilnehmen, wenn sie zur Betreuung eines Kindes nicht länger als vier Jahre vom Arbeitsmarkt abwesend waren.