​Auch wenn um das Jahr 1890 die Ausgangslage für die Einführung eines amtlichen Bulletins der Ratsverhandlungen besser war als zuvor, blieb die Skepsis gegenüber einer Luxusausgabe gross. Es wären wohl noch viele Jahre ohne Verhandlungsbulletin vergangen, hätte nicht Bundeskanzler Gottlieb Ringier die Initiative ergriffen. Die Bundeskanzlei hatte im 19. Jahrhundert noch ein stärkeres politisches Gewicht; der liberal-konservative Ringier genoss hohes Ansehen und übte magistrale Funktionen aus. Er nahm einen Vorstoss des Genfer Nationalrates Pictet zum Anlass, das Thema eines umfassenden stenographischen Bulletins erneut aufzugreifen.

 

 

Gottlieb Ringier, Bundeskanzler von 1882 bis 1909.
Schweizerische Bundeskanzlei, Bern

 

Im Vorstoss ging es zwar lediglich um die Veröffentlichung der bisherigen Beschlussprotokolle. Dennoch äusserte sich Ringier in einem umfangreichen Bericht vor allem zur Zweckmässigkeit eines stenographischen Bulletins. Er wies darin auch auf die veränderte Ausgangslage hin, insbesondere auf den Ausbau der Volksrechte und das verstärkte Bedürfnis von Justiz und Parlament nach ausführlichen Materialien. Er empfahl dem Bundesrat, den Räten zu beantragen, ein stenographisches Verhandlungsblatt ins Leben zu rufen. Die Kosten könnten dadurch limitiert werden, dass die Voten nur in der Sprache des Redners wiedergegeben würden.

 

Die bis heute übliche synoptische Darstellung der Etappen in der Differenzbereinigung zwischen den beiden Ratskammern, die sogenannte Fahne. Die von Nationalratspräsident Eduard Müller und Bundeskanzler Gottlieb Ringier unterschriebenen Beschlüsse rechts aussen entsprechen dem Bundesbeschluss, der die Einführung des Amtlichen Bulletins ermöglichte.
Schweizerisches Bundesarchiv, Bern (E 1 Bd. 110, Nr. 637)

 

Der Bundesrat sprach sich gegen das Anliegen des Bundeskanzlers aus und empfahl das Postulat zur Ablehnung. Da die Protokollierung als Geschäft der Bundeskanzlei galt, integrierte er aber Ringiers langen Bericht in seine Botschaft. Dieser wirkte stärker als die knappen Zeilen des Bundesrates, sodass die Räte das Postulat behandelten. In den Ratsverhandlungen wurde Ringiers Bericht ausführlich zitiert und kommentiert. Am 11. April 1891 trat ein Bundesbeschluss über die stenographische Aufnahme der Verhandlungen in Kraft. Bundeskanzler Ringier nahm die Umsetzung dieses verklausulierten Bundesbeschlusses rasch an die Hand. Dabei reizte er den gegebenen Spielraum maximal aus, indem er einen permanenten stenographischen Dienst ins Leben rief, der alle wichtigen Verhandlungen im Wortlaut erfassen sollte.

In der ersten Debatte, die am 4. Juni 1891 protokollarisch erfasst wurde, ging es um den «Ankauf von Aktien der schweizerischen Centralbahn». Das Amtliche Bulletin – oder das «Stenographische Bülletin», wie es damals noch hiess – war geboren.