Indirekter Gegenentwurf zur Volksinitiative "gegen die Abzockerei"

A. Ausgangslage

Botschaft des Bundes­rates zur Revision des Aktien- und Rechnungs­legungsrechts

Der Bundesrat verabschiedete am 21. Dezember 2007 seine Botschaft zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts (08.011). Der Entwurf enthält unter anderem Neuerungen, die das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Organen der Gesellschaft, eine erhöhte Transparenz bei den Vergütungen des obersten Managements und der gesellschafts­internen Vorgänge sowie die Sicherung der Stellung der Aktionärinnen und Aktionäre als Eigentümerinnen und Eigentümer des Unternehmens bezwecken.

Volksinitiative "gegen die Abzockerei"

Am 26. Februar 2008 wurde die Volksinitiative "gegen die Abzockerei" (im Folgenden "die Volksinitiative") mit 114 260 gültigen Unter­schriften eingereicht. Sie will von den Initiantinnen und Initianten als über­höht empfundenen Vergütungen des obersten Managements von börsen­kotierten Aktiengesellschaften Einhalt bieten. Dieses Ziel wird primär durch die Verbesserung der Corporate Governance angestrebt. Die Aktionär­innen und Aktionäre sollen vermehrt auf die Vergütungspolitik des obersten Kaders Einfluss nehmen können.

Zusatzbotschaft des Bundesrates

Der Bundesrat beantragte dem Parlament am 5. Dezember 2008, die Volksinitiative Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zur Abstimmung zu unterbreiten (08.080). Gleichzeitig unterbreitete er dem Parlament einen indirekten Gegenvorschlag, nämlich eine Revision des Obligationen­rechts (OR). Diese Vorlage ist als Zusatzbotschaft zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrecht (08.011; Botschaft des Bundesrates vom 21. Dezember 2007) ausgestaltet. In mehreren Punkten stimmen der Entwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungs­rechts einschliesslich der Anträge, die in der Zusatzbotschaft enthalten sind (ergänzter Entwurf), und die Initiative überein.

Ständerat Sommer­session 2009

Am 11. Juni 2009 nahm der Ständerat mit 26 zu 8 Stimmen bei 5 Enthaltungen die vom Bundesrat beantragte Änderung des OR (Entwurf vom 21. Dezember 2007 einschliesslich der neuen Anträge vom 5. Dezember 2008) als indirekten Gegenentwurf zur Volksinitiative an; allerdings mit vom Entwurf abweichenden Beschlüssen. Der Ständerat beschloss zudem mit 26 zu 10 Stimmen die Volksinitiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen.

Nationalrat Früh­jahrssession 2010

Am 17. März 2010 nahm der Nationalrat einen direkten Gegenentwurf an. Dieser nimmt einen Grossteil der in der Volksinitiative enthaltenen Forder­ungen auf. Er sieht in diversen Punkten jedoch die Möglichkeit abweichender Regelungen in den Statuten vor. Geregelt werden zusätzlich die Ausrichtung von Bonifikationen sowie die Rückerstattungsklage. Der Nationalrat beschloss mit 66 zu 62 Stimmen bei 56 Enthaltungen Volk und Ständen sowohl den direkten Gegenentwurf als auch die Volksinitiative zur Annahme zu empfehlen. Der Nationalrat hat die Vorlage zur Revision des Aktienrechts noch nicht behandelt. Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates beschloss in der Folge, die die Corporate Governance betreffenden Bestimmungen vorerst nicht weiter zu behandeln.

Kommissionsinitiative der RK-S

Daraufhin beschloss die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates am 20. Mai 2010 mit 9 zu 4 Stimmen, im Rahmen der vorliegenden Kommissionsinitiative einen neuen indirekten Gegenvorschlag auszu­arbeiten (10.443). Gemäss diesem Beschluss hat sich dieser an den Forderungen der Volksinitiative und am direkten Gegenentwurf des Nationalrates zu orientieren. Ziel ist es, die Regelungen nicht in die Bundesverfassung, sondern in das Obligationenrecht einzufügen. Dazu wurden neun (nicht abschliessende und anpassbare) Eckpunkte festgelegt (siehe Text in der Beilage). Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates stimmte dem Beschluss zur Ausarbeitung einer Kommissionsinitiative am 2. Juni 2010 mit 15 zu 11 Stimmen zu.

Frist zur Behandlung der Volksinitiative

Als Konsequenz des Beschlusses zur Kommissionsinitiative beschloss der Ständerat am 1. Juni 2010 ohne Gegenstimmen, der Nationalrat am 2. Juni 2010 mit 98 zu 91 Stimmen, die Frist zur Behandlung der Volksinitiative um ein Jahr zu verlängern. Die Bundesversammlung hat damit bis am 26. August 2011 darüber zu beschliessen, ob sie die Volksinitiative Volk und Ständen zur Annahme oder Ablehnung empfiehlt. Diese Frist kann von der Bundesversammlung um höchstens ein weiteres Jahr verlängert werden, wenn ein mit der Volksinitiative eng zusammenhängender Erlassentwurf in der Form des Bundesgesetzes noch in der Differenzbereinigung steht.

 B. Beschlüsse der RK-S vom 7. September 2010

Die RK-S hat einstimmig einen Entwurf beschlossen, welcher insbesondere die folgenden Regelungen beinhaltet:

1. Vergütungs­reglement

Bei Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind, erlässt der Verwaltungsrat ein Reglement über die Vergütungen für die Mitglieder des Verwaltungsrats, für die mit der Geschäftsführung betrauten Personen und für die Mitglieder des Beirats (Vergütungsreglement). Der Verwaltungsrat unterbreitet der Generalversammlung das Vergütungsreglement zur Genehmigung.

Die Mitglieder des Verwaltungsrats sowie Dritte, die mit der Geschäfts­führung befasst sind, müssen bei der Festlegung der Vergütungen dafür sorgen, dass diese sowohl mit der wirtschaftlichen Lage als auch mit dem dauernden Gedeihen des Unternehmens im Einklang stehen und in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben, Leistungen und der Verant­wortung der Empfänger stehen.

2. Vergütungs­bericht

Bei Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind, erstellt der Verwaltungsrat einen schriftlichen Vergütungsbericht. Er legt darin Rechen­schaft ab über die Einhaltung des Gesetzes, des Vergütungsreglements und gegebenen­falls der Statuten. Im Vergütungsbericht sind zudem die Vergütungen an den Verwaltungsrat, die Geschäftsleitung und den Beirat offenzulegen (vgl. den geltenden Artikel 663bbis OR).

3. Vergütungen des Verwaltungsrates und des Beirates

Bei Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind, beschliesst die Generalversammlung jährlich über die Genehmigung des Gesamtbetrags, den der Verwaltungsrat beschlossen hat für seine eigene Vergütung sowie die Vergütung des Beirats.

4. Vergütungen der Geschäfts­leitung

Bei Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind, beschliesst die General­versammlung, sofern die Statuten nichts anderes vorsehen, jährlich über die Genehmigung des Gesamtbetrags, den der Verwaltungsrat beschlossen hat für die Vergütung der mit der Geschäftsführung betrauten Personen.

5. Unzulässige Vergütungen

Bei Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind, sind Abgangsentschädigungen und Vergütungen im Voraus an Mitglieder des Verwaltungsrats, an Personen, die mit der Geschäftsführung betraut sind und an Mitglieder des Beirats grundsätzlich untersagt.

6. Rückerstatt­ungs­klage

Die Regelung der Rückerstattungsklage (Art. 678 OR) wird griffiger ausgestaltet. Neu sollen neben den Mitgliedern des Verwaltungsrates auch die mit der Geschäftsführung befassten Personen sowie die Mitglieder des Beirates zur Rückerstattung verpflichtet sein. Voraus­setzung für die Rückerstattungs­klage gemäss Artikel 678 Absatz 2 OR ist fortan nur noch das offen­sichtliche Missverhältnis zwischen der Leistung der Gesellschaft und der erbrachten Gegenleistung. Das Erfordernis des offensichtlichen Missverhältnisses zwischen der Leistung und der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft wird gestrichen.

7. Wahl des Verwaltungsrates

Bei Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind, werden die Mitglieder des Verwaltungsrats jährlich durch die Generalversammlung gewählt, sofern die Statuten nichts anderes bestimmen. Die Amtsdauer darf jedoch drei Jahre nicht übersteigen. Die Wahl erfolgt für jedes Mitglied einzeln. Wiederwahl ist möglich.

8. Stimmrechts­vertretung

Bei Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind, wählt die Generalversammlung einen oder mehrere unabhängige Stimmrechts­vertreter für die nächste Generalversammlung. Eine institutionelle Stimm­rechtsvertretung darf nur durch unabhängige Stimmrechts­vertreter erfolgen. Die Organ- und Depotstimmrechtsvertretung ist untersagt.

9. Elektronische Generalversammlung

Den Unternehmen wird ermöglicht, bei der Durchführung der Generalversammlung elektronische Mittel zu nutzen.

10. Stimm- und Offenlegungspflichtpflicht der Vorsorgeeinricht­ungen

Die Vorsorgeeinrichtungen sind gehalten, ihre Stimmrechte in schweizerischen Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind, auszuüben. Die Ausübung von Stimmrechten durch die Vorsorge­einrichtungen hat im Interesse der Destinatäre zu erfolgen. Die Vorsorge­einrichtungen legen offen, wie sie gestimmt haben.

11. Strafbestimm­ungen

Wer als Mitglied des Verwaltungsrates einer Gesellschaft, deren Aktien an einer Börse kotiert sind, gegen das Vergütungsreglement verstösst und dadurch die Gesellschaft schädigt, wird, auf Antrag der Gesell­schaft oder eines Aktionärs, mit Busse bestraft.

Der Entwurf wird noch redaktionell überarbeitet und voraussichtlich Ende Oktober zu Handen des Ständerates verabschiedet.

Zudem hat die RK-S bereits am 19. August 2010 beschlossen, die Kommissions­initiative der WAK-S "Aktienrechtliche und steuerrechtliche Behandlung sehr hoher Vergütungen" (10.460) bei ihren Arbeiten zum indirekten Gegenentwurf zu berücksichtigen. Die Kommissionsinitiative der WAK-S fordert, dass Vergütungen ab 3 Millionen Franken pro Geschäftsjahr nicht länger als Lohn im bisherigen Sinne gelten, sondern gesellschafts- und steuerrechtlich als Gewinnanteile im Sinne von Artikel 677 OR zu behandeln sind (siehe Text in der Beilage). Die RK-S beschloss nun, entsprechende Bestimmungen einer vertieften Prüfung zu unterziehen. Sie wird dazu Anhörungen durchführen.

 

Beilage:

Vergleich Volksinitiative – direkter Gegenentwurf des Nationalrates – indirekter Gegenentwurf der RK-S (Synopse)