Erlauben Sie mir zwei Vorbemerkungen. Die erste richte ich im Zusammenhang mit Ammotec in aller Kürze an meinen Vorredner: Sie wissen, Herr Kollege, dass ich bei der ersten Abstimmung zu Ammotec einem Verkauf nicht zugestimmt habe, aus verschiedenen Überlegungen, die heute nichts mehr zur Sache tun. Beim zweiten Mal habe ich aber tatsächlich zugestimmt, weil ich der Auffassung bin, dass man Entscheide, wenn sie denn gefällt wurden, respektieren sollte und ich zudem den Ausführungen des damaligen Bundesrates Ueli Maurer folgte.
Zweite Vorbemerkung zum Prozeduralen: Ich möchte darauf hinweisen, dass ich meine Motion eigentlich aufgrund eines mehrheitsfähigen Kompromisses für eine Kommissionsinitiative der SiK-S zurückziehen wollte. Denn die Kommissionsinitiative basiert auf demselben Fundament wie meine Motion, die Sie gerade beraten. Allerdings wurde die Kommissionsinitiative durch die Schwesterkommission, die SiK-N, abgelehnt. Aufgrund dessen sehe ich es als notwendig an, dass wir die Motion hier beraten und auch zur Abstimmung bringen.
Nun aber zur Sache: Die traurige Ausgangslage kennen wir. Die traurige Ausgangslage ist die, dass wir seit über einem Jahr in Europa einen Krieg haben. Wir haben im Ständerat diesen Krieg mit einer Resolution verurteilt. Wir haben festgehalten, dass dieser Krieg völkerrechtswidrig ist, dass er ein brutaler Angriffskrieg ist, der zur Folge hat, dass Hunderttausende von Menschen getötet, verletzt und Millionen von Menschen vertrieben werden. Wir haben auch festgestellt, dass dieser Krieg ein Krieg Russlands gegenüber der Ukraine ist. Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es ein Krieg ist, der unsere Werte wie Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaat angreift - Werte, für die wir in Europa stehen, Werte, für die wir auch in der Schweiz stehen.
Im Gegensatz zu Russlands Angriffskriegen im Jahr 2008 gegen Georgien und im Jahr 2014 gegen die Ukraine - damals in Bezug auf die Krim und den Donbass - hat sich der Westen, namentlich Westeuropa und auch Nordamerika, diesmal mit dem angegriffenen Land, der Ukraine, solidarisch erklärt. Diese Solidarität spielt in der aktuellen Situation eine ganz zentrale Rolle. Sie beinhaltet in diesem Fall nicht nur, aber auch militärische Solidarität. Weshalb? Weil wir alle traurigerweise zur Kenntnis nehmen müssen, dass es Situationen gibt, in denen man sich mit Waffengewalt wehren muss, dann nämlich, wenn man mit Waffengewalt bedroht oder sogar angegriffen wird.
Wir wissen es: In der aktuellen Situation wird entsprechend seitens der westlichen Staaten Kriegsmaterial in die Ukraine geliefert. Davon ist auch Kriegsmaterial - Waffen und Munition - betroffen, das westliche Staaten vor Jahren für den Eigengebrauch in der Schweiz gekauft haben. Jetzt, nach x Jahren im eigenen Bestand, soll dieses Kriegsmaterial weitergegeben werden. Das schweizerische Kriegsmaterialgesetz (KMG) sieht in Artikel 18 Absatz 1 vor, dass Kriegsmaterial, das aus der Schweiz ausgeführt wird, mit einer Nichtwiederausfuhrerklärung der Regierung des Abnehmerstaates versehen werden muss. Das heisst, dass gemäss Artikel AB 2023 S 95 / BO 2023 E 95 5a Absatz 2 der Kriegsmaterialverordnung eine spätere Weitergabe dieses Kriegsmaterials an einen weiteren Staat nur mit Zustimmung der Schweiz erfolgen darf.
Länder, die in der Schweiz vor langer Zeit für ihren Eigengebrauch Kriegsmaterial gekauft haben, müssen also für die Weitergabe ein Gesuch an die Schweiz stellen. Gemäss Artikel 22a Absatz 2 Litera a KMG muss die Schweiz das Gesuch unter anderem dann ablehnen, wenn sich das Bestimmungsland, in welches das Kriegsmaterial geliefert werden soll, in einem bewaffneten Konflikt befindet. Aus diesem Grund muss die Schweiz zurzeit Anfragen bezüglich Kriegsmaterial für die Weitergabe in die Ukraine abschlägig beantworten; so ist die aktuelle Rechtslage in unserem Land. Man kann dies bedauern, aber der Gesetzgeber wollte es einmal so.
Nun wird die Regelung, wie wir sie im Kriegsmaterialgesetz haben, fälschlicherweise teilweise in unserem Land als Ausdruck des Neutralitätsrechts verstanden. Es sei ein Gebot des Neutralitätsrechts im Zusammenhang mit der Wiederausfuhr, dass man entsprechend die Wiederausfuhr per se verbieten sollte. Das sei wegen der Neutralität so ins Gesetz gekommen.
Das Neutralitätsrecht wird, wie wir wissen, im Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs von 1907, dem sogenannten Haager Abkommen, geregelt. Dort ist festgehalten, was neutrale Staaten zu befolgen haben: Nichtteilnahme an Kriegen; auch die Selbstverteidigung und Durchsetzung der Neutralität ist ein Gebot, weshalb man eigentlich nicht nur von "Neutralität" spricht, sondern von "bewaffneter Neutralität"; kein Kriegsmaterial aus staatlichen Beständen darf an eine kriegführende Partei geliefert werden, und bei privaten Lieferungen muss das Gleichbehandlungsgebot eingehalten werden. Schliesslich dürfen keine Söldner für Kriegsparteien zur Verfügung gestellt werden, und das Zur-Verfügung-Stellen des Territoriums für die Kriegsparteien ist verboten und muss entsprechend durchgesetzt werden. Zur Wiederausfuhr oder sogar zur Pflicht zur Verhinderung der Wiederausfuhr gibt es im Haager Abkommen aber keine Regelung. Die Regelung betreffend Nichtwiederausfuhr haben wir also einzig und alleine unserem eigenen internen Landesrecht, dem Schweizer Recht, zu verdanken, das wir im Kriegsmaterialgesetz so festgeschrieben haben.
Ein Beleg dafür, dass das Haager Abkommen mit dem Neutralitätsrecht eigentlich keinen Zusammenhang hatte, ist auch der Umstand, dass die Wiederausfuhrdeklaration auf einer relativ jungen Gesetzgebung basiert. Sie ist nämlich in den 1980er- und 1990er-Jahren entstanden. Wenn man die Botschaft des Bundesrates zur Revision des Kriegsmaterialgesetzes von 1995 liest, sieht man auch, dass von Neutralität keine Rede war. Die Rede war vielmehr davon, dass man quasi verhindern wollte, dass indirekt Waffen an Länder geliefert würden, denen die Schweiz auf keinen Fall Waffen liefern würde. Gemeint sind namentlich Länder, in denen Menschenrechte "systematisch verletzt" werden. Das ist der Ursprung. Davon kann man halten, was man will, aber eigentlich stand es ursprünglich nicht im Zusammenhang mit dem Neutralitätsrecht.
Betrachten wir wieder die aktuelle Situation. Wie sieht es aktuell aus? Die aktuelle Rechtslage führt dazu, dass es bei unseren westlichen Partnerstaaten grosse Irritationen gibt. Weshalb? Sie verstehen, dass wir ein neutrales Land sind, und sie respektieren deshalb auch, dass wir keine Waffen direkt an ein kriegführendes Land - im aktuellen Fall an die Ukraine - liefern. Das versteht man, und das will auch niemand ändern. Sie verstehen aber nicht, wie das Blockieren von Wiederausfuhren mit der Neutralität zusammenhängt und weshalb wir die anderen Länder quasi daran hindern, die Ukraine mit Kriegsmaterial zu unterstützen, das man vor x Jahren einmal in der Schweiz gekauft hat. Es geht nicht um Ringgeschäfte. Das Kriegsmaterial wurde zu einem anderen Zweck angeschafft und soll jetzt weitergegeben werden. Aber die Schweiz verhindert dies.
Die Frage sei bei dieser Gelegenheit auch erlaubt: Wenn man ganz neutral sein möchte, wie das teilweise gefordert wird, wäre man es denn auch wirklich, wenn wir jetzt die eine Seite blockieren und ihr die Hilfe, die sie bekommen möchte, verweigern? Damit hilft man ja eigentlich nur der anderen Kriegspartei, in diesem Fall Russland. Ich frage mich, ob das wirklich eine tatsächlich neutrale Position ist. Aber in diese Situation haben wir uns selber hineinbegeben.
Hier möchte ich daher mit meiner Motion ansetzen. Mein Konzept bzw. das Konzept der vorliegenden Motion sieht ja vor, dass die Neutralität der Schweiz gewahrt werden soll. Die Weitergabe von Kriegsmaterial durch unsere westlichen Partner sollten wir aber nicht behindern; wir sollten sie gar nicht beeinflussen. Deshalb beantrage ich mit der Motion, dass auf eine Nichtwiederausfuhrerklärung verzichtet wird, allerdings nicht gegenüber allen Ländern, sondern gegenüber denjenigen Ländern, die erstens unsere Werte teilen. Es handelt sich dabei um Demokratien. Zweitens handelt es sich um Länder, die ein ähnliches oder vergleichbares Exportkontrollregime haben, indem sie die internationalen Kontrollmassnahmen unterstützen bzw. sich diesen unterziehen. Es handelt sich dabei um die Staaten der Nuclear Suppliers Group, der Australischen Gruppe, des Missile Technology Control Regime und des bekannten Wassenaar Arrangement. Das resultiert in 25 Staaten; dazu gehören die europäischen Staaten sowie Kanada, die USA, Argentinien, Japan, Neuseeland und Australien. Diese Auflistung von Staaten ist nicht einfach eine Erfindung von mir, sondern sie wird bereits definiert, nämlich in Anhang 2 der Kriegsmaterialverordnung. Deshalb spricht man auch von den sogenannten Anhang-2-Staaten.
Nun habe ich in der Begründung festgeschrieben, dass man auch eine zeitliche Frist vorsehen kann, um zu verhindern, dass solche Länder bei uns Waffen kaufen und sie sogleich weitergeben und damit nichts anderes täten, als unsere Neutralität zu umgehen. Der Kommissionssprecher hat natürlich recht, das ist nicht im Text der Motion vorgesehen. Es besteht aber die Möglichkeit, das zu verändern. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie bitten: Lassen Sie uns heute über den Grundsatz und nicht über einzelne Kommas oder Detailregelungen diskutieren. Weshalb? Wenn wir die Motion annehmen, hat der Bundesrat den Auftrag, uns basierend auf diesem Konzept einen Gesetzentwurf vorzulegen. Im Rahmen dieses Gesetzentwurfes können wir selbstverständlich noch entsprechende Ergänzungen und Änderungen anbringen und damit diesen Begehrlichkeiten, Wünschen und vielleicht auch Notwendigkeiten Rechnung tragen.
Ich meine, dass wir uns neutral verhalten sollten. Wir sind ein neutrales Land. Nichtsdestotrotz wissen wir aber, dass wir - und das war immer so, übrigens auch im Kalten Krieg - Teil der westlichen Welt sind. Denn die westliche Welt teilt unsere Werte und steht im Notfall auch für unsere Werte ein, übrigens auch für das Völkerrecht, auf dessen Grundlage die Neutralität ebenfalls basiert. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir, wenn wir jetzt hier strikt bleiben im Sinne von "Wir ändern nichts", der Neutralität bzw. der Anerkennung der Neutralität im Ausland tatsächlich einen Dienst erweisen. Es wurde verschiedentlich gesagt - und das ist richtig -, dass die Neutralität natürlich auch auf der Akzeptanz durch die anderen Länder basiert. Zurzeit sieht es eher danach aus, dass die Akzeptanz gegenüber unserer Neutralität schwindet, weil sie so, wie wir sie jetzt mit diesem Wiederausfuhrverbot nach aussen auslegen, eigentlich nicht verstanden wird.
Ich erlaube mir noch eine Bemerkung im Zusammenhang mit der Diskussion zum Thema "Rückwirkung". Juristisch ist es natürlich keine Rückwirkung. Vielmehr werden Vertragspartner für die Zukunft, pro futuro, von einer Pflicht befreit. Aber so oder so: Dieser Aspekt ist in meiner Motion nicht vorgesehen. Auch hier hätte man die Chance, die Debatte dazu anlässlich der Gesetzesvorlage zu führen. Dort kann man darüber diskutieren, ob man das erst für die Zukunft oder auch für Vertragsverhältnisse will, die jetzt schon bestehen. Lassen Sie uns dann diese Debatte en détail und auch vertieft führen!
Ich meine sowieso, es wäre an der Zeit, dass wir dieses Thema jetzt in die Verantwortung des Bundesrates geben. Wir haben hier in diesem Parlament x Vorschläge, verschiedenste parlamentarische Initiativen, Kommissionsinitiativen, Motionen - alle gut gemeint. Bei allen ist die Frage, ob sie wirklich das Gelbe vom Ei sind oder ob es nicht tatsächlich AB 2023 S 96 / BO 2023 E 96 vertiefte Abklärungen braucht. Aber es wäre, meine ich, am zielführendsten, wenn der Bundesrat diese Aufgabe übernehmen würde, damit wir eine seriöse Vorlage haben, die wir dann entsprechend hier diskutieren und verabschieden können.
So oder so bitte ich Bundesrat Parmelin, hier zu bestätigen, dass das Konzept, wie es in der Motion vorliegt, die wir jetzt besprechen, neutralitätsrechtskonform ist. Ich bin überzeugt, dass es das ist.
Eine letzte Bemerkung noch zum Thema bewaffnete Neutralität: Es wird ja verschiedentlich der Vorwurf laut, diese Motion helfe in erster Linie der Rüstungsindustrie. Nun ja, das möchte ich gar nicht abstreiten. Denn wenn man den Bären waschen will, muss man auch in Kauf nehmen, dass der Pelz nass wird. Wir können nicht das eine haben und das andere nicht. Wenn wir der Auffassung sind, dass unsere Rüstungsindustrie nicht geschwächt werden soll, dann, meine ich, müssen wir diese Änderung vornehmen. Weshalb? Weil verschiedene Länder, die es ja auch bereits in Aussicht gestellt haben, bei uns nicht mehr Waffen und Munition kaufen möchten, wenn sie diese dann innerhalb des westlichen Bündnisses nicht weitergeben können, wenn sie gebraucht werden.
Aber nichtsdestotrotz, ich knüpfe da an die Ausführungen meines Vorredners, Kollege Minder, an: Ich meine auch, dass wir Ja sagen müssen zur Rüstungsindustrie in unserem Land, dass wir sie erhalten sollten, denn nur eine bewaffnete Neutralität kann unser Konzept aufrechterhalten. Und Verteidigungsfähigkeit setzt voraus, dass wir zumindest zum Teil auch eine Rüstungsindustrie in unserem Land haben.
Lassen Sie uns heute, wenn wir die Wahl haben, bei dieser Motion Ja oder Nein zu sagen, Ja sagen, Ja dazu, dass wir die Bemühungen der westlichen Welt, die Ukraine zu unterstützen, nicht behindern wollen. Lassen Sie uns Ja sagen und der Welt ein Signal geben, denn ein Nein heute hätte meines Erachtens eine sehr schlechte Signalwirkung gegenüber unseren westlichen Partnerstaaten. Lassen Sie uns aber auch Ja dazu sagen, dass der Bundesrat einen Gesetzentwurf auf der Basis dieses Konzeptes vorlegen und damit seine Führungsaufgabe in dieser Angelegenheit wahrnehmen soll. Lassen Sie uns Ja zur Neutralität sagen, ohne sie langfristig zu schädigen, da sonst der Druck auf sie und das Unverständnis über sie in der Welt massiv zunehmen würde. Und lassen Sie uns schliesslich auch Ja zur bewaffneten Neutralität sagen, auf deren Grundlage die Schweiz nun seit langer Zeit erfolgreich operiert.