Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) spricht sich klar gegen Konversionsmassnahmen aus (manchmal auch als Konversionstherapien bezeichnet) und will Möglichkeiten prüfen, wie ein Verbot auf Bundesebene umgesetzt werden könnte. Sie wird die Beratung der Motion 22.3889 weiterführen, sobald der Bericht zum Postulat 21.4474 vorliegt, der Lösungsansätze aufzeigen soll.

Wie der Bundesrat lehnt auch die Kommission Konversionsmassnahmen, die zum Ziel haben, die sexuelle Orientierung von Menschen zu verändern, klar ab. Diese Meinung wird auch von verschiedenen Kantonen geteilt, in welchen Initiativen und Vorstösse für ein Verbot solcher Konversionsmassnahmen eingereicht und teilweise angenommen wurden. Die Kommission will sich einen besseren Überblick darüber verschaffen, ob und wie ein solches Verbot auf Bundesebene umgesetzt werden könnte. Sie hat deshalb einstimmig entschieden, die Beratung einer entsprechenden Motion ihrer Schwesterkommission (22.3889 «Konversionsmassnahmen an LGBTQ-Personen verbieten und unter Strafe stellen») zu verschieben, bis der Bericht in Erfüllung des Postulats 21.4474 «Überprüfung der Verbreitung sogenannter Konversionstherapien in der Schweiz und der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung» vorliegt. Aufgrund von parlamentsrechtlichen Fristen musste die Kommission hingegen bereits einen Entscheid zu den zwei Standesinitiativen der Kantone Basel-Stadt (22.311 «Verbot von Konversionstherapien in der Schweiz») und Luzern (22.310 « Verbot von Konversionstherapien») treffen. Um Doppelspurigkeiten in der Gesetzgebung zu vermeiden, beantragt sie ihrem Rat mit 7 zu 5 Stimmen, den beiden Initiativen keine Folge zu geben.

Übereinkommen Nr. 190der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbe​​itswelt: Kommission hält mit knapper Mehrheit an der Verweigerung der Ratifizierung fest

Der Ständerat hatte im Herbst 2022 mit 24 zu 20 Stimmen beschlossen, nicht auf den Bundesbeschluss zur Genehmigung des ILO-Übereinkommens Nr. 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt (22​​​.045) einzutreten. Obwohl er die Anliegen des Übereinkommens teilt, bedauerte der Ständerat die fehlende Konsultation und befürchtete er, dass die Ratifizierung negative Auswirkungen auf das Schweizer Arbeitsrecht hätte. Der Nationalrat war am 12. Dezember 2022 hingegen mit 121 zu 48 Stimmen bei 3 Enthaltungen auf die Vorlage eingetreten.

Die RK-S ist zunächst mit 7 zu 5 Stimmen auf den Bundesbeschluss eingetreten und hat mit 11 zu 1 Stimmen beschlossen, ihrem Rat zu beantragen, im Text zu präzisieren, dass die Ratifizierung keinerlei Änderung des Schweizer Rechts nach sich zieht. Allerdings hat sie die Vorlage dann in der Gesamtabstimmung mit 6 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung abgelehnt, was einem Antrag auf Nichteintreten gleichkommt. Die Kommissionsmehrheit befürchtet, dass die Auslegung des Übereinkommens Tür und Tor für die verschiedensten Anliegen öffnet und dadurch die Gefahr einer Überladung des Schweizer Arbeitsrechts besteht. Die Minderheit ist mit Unterstützung der Sozialpartner der Ansicht, dass die Schweiz dieses Übereinkommen unbedingt ratifizieren sollte, wenn sie auf internationaler Ebene nicht ein sehr negatives politisches Signal senden möchte. Sie wird ihre Position in der Herbstsession im Ständerat vertreten.

Keine Ausdehnung der Hilfe für Opfer von im Ausland be​​​gangenen Gewalttaten

Die Kommission hat nach der Anhörung einer Delegation der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) einstimmig und im Sinne des Territorialprinzips beschlossen, die Ablehnung der vier Motionen zu beantragen, welche eine Entschädigung für Opfer von im Ausland begangenen Gewalttaten fordern (Motionen 21.4533, 21.4534, 21.4535 und 21.4536). Zudem spricht sie sich mit 11 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung dagegen aus, dass die Kantone höhere Beträge als gesetzlich vorgesehen erbringen können, wenn die Genugtuung von einem Gericht festgelegt wird (Motion 22.3194), da dies in ihren Augen zu einer Ungleichbehandlung führen könnte. Im Weiteren hat die Kommission mit 7 zu 4 Stimmen bei 1 Enthaltung die Initiative der RK-N abgelehnt, die fordert, Opfern von Gewalttaten im Ausland Zugang zu den Unterstützungsleistungen in der Schweiz zu gewähren (pa. Iv. 22.456).

Für eine bessere Beha​​ndlung von Kindern mit einer Variation der Geschlechtsmerkmale

Die Kommission beantragt ihrem Rat einstimmig die Ablehnung einer Motion von Ständerat Matthias Michel, welche ein strafrechtliches Verbot von chirurgischen oder hormonellen Eingriffen fordert an Kindern, die mit einer Variation der Geschlechtsmerkmale geboren werden (22.3355). Die Kommission unterstützt die Stossrichtung der Motion, welche unnötige oder gar schädliche Eingriffe an betroffenen Kindern verhindern möchte. Sie ist allerdings der Meinung, dass dieses Ziel nicht mit einem strafrechtlichen Verbot, sondern mit der Gewährleistung einer kompetenten und spezialisierten Behandlung erreicht werden kann. Sie hat entsprechend einstimmig eine entsprechende Kommissionsmotion verabschiedet (23.3967). Die Vorstösse werden nach Vorliegen der Stellungnahme des Bundesrates in der Wintersession vom Ständerat beraten werden.

Weitere Geschä​fte:

  • Die Kommission beantragt ihrem Rat einstimmig dem Haager Gerichtsstandübereinkommen vom 30. Juni 2005 beizutreten (23.045). Das Übereinkommen hat zum Ziel die Rechtssicherheit für internationale Handelsbeziehungen zu fördern, indem einheitliche Vorschriften zur Zuständigkeit der Gerichte in Zivil- und Handelsangelegenheiten festgelegt werden. Mit der Vorlage des Bundesrates wird eine Motion der RK-S umgesetzt (21.3455).
  • Die Kommission hat dem Beschluss ihrer Schwesterkommission in Umsetzung der Initiative 22.455 «Erhöhter Kündigungsschutz für Jungmütter» einen Erlassentwurf auszuarbeiten mit 7 zu 5 Stimmen die Zustimmung erteilt.
  • Die Kommission beantragt ihrem Rat mit 6 zu 0 Stimmen bei 6 Enthaltungen die Ablehnung der von Nationalrat Thomas Burgherr eingereichten und vom Nationalrat angenommenen Motion 21.3884, welche vom Bundesrat eine systematische Darstellung der Differenzen zwischen der schweizerischen Rechtsordnung und jener der EU fordert ​im Hinblick auf die Darstellung möglicher Vorteile der bestehenden Regelungsunterschiede («Standortvorteil eines unabhängigen Schweizer Rechts»).

Die Kommission hat am 15. August 2023 unter dem Vorsitz von Ständerat Carlo Sommaruga (SP, GE) in Bern getagt.