Mit 17 zu 8 Stimmen hat die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) ihren Vorentwurf zur Umsetzung der Pa. Iv. Grossen Jürg. Selbstständigkeit ermöglichen, Parteiwillen berücksichtigen (18.455) gutgeheissen. In der Detailberatung hat sie mit 13 zu 12 Stimmen beschlossen, ein zweistufiges Verfahren zur Prüfung der Unterscheidung zwischen selbstständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeit (sog. Beitragsstatut) vorzusehen. So sollen zuerst die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse geprüft werden. Sind diese nicht eindeutig, wird zusätzlich auf schriftliche Parteivereinbarungen abgestellt. Die angewandten Kriterien zur Bestimmung des Beitragsstatuts, also die organisatorische Unterordnung, das unternehmerische Risiko sowie die Parteivereinbarungen, soll der Bundesrat auf Verordnungsstufe genauer regeln (17 zu 8 Stimmen). Weiter möchte die Kommission ermöglichen, dass Vertragsparteien von Selbstständigerwerbenden, beispielsweise digitale Plattformen, diese auf freiwilliger Basis beim Einzahlen von Sozialversicherungsbeiträgen unterstützen können (13 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung). Die Kommission hat die Verwaltung mit der Finalisierung des Vorentwurfs und zusätzlichen Abklärungen insbesondere zum aktuellen Vollzug und zum Einfluss der neuen EU-Richtlinie über Plattformarbeit auf die Schweiz beauftragt. Sie wird voraussichtlich im dritten Quartal die Vernehmlassung zur Vorlage eröffnen.
Überlastung der Spitalnotfallaufnahmen durch gezielte Erhöhung der Kostenbeteiligung verringern
Die Kommission hat in den vergangenen Monaten eingehend mehrere Varianten zur Umsetzung der pa. Iv. (Weibel) Bäumle. Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotfallaufnahme (17.480) geprüft. Die Initiative verlangt, Bagatellfälle mittels finanziellen Anreizen von den Notfallstationen hin zu einer geeigneteren und wirtschaftlicheren Versorgung zu lenken und so die Spitalnotfallaufnahmen zu entlasten. Da eine Gebühr, wie sie die Initiative verlangt, nicht verfassungskonform ist, hat die Kommission mit der gezielten Erhöhung der Kostenbeteiligung bei nicht gerechtfertigten Notfall-Konsultationen eine pragmatische Lösung für eine klare und einheitliche Umsetzung der Initiative gefunden. Im Hinblick auf die Vernehmlassung hat sie sich mit zwei Umsetzungsvarianten befasst. Die erste Variante sieht vor, den jährlichen Höchstbetrag des Selbstbehalts für jede unnötige Konsultation der Spitalnotfallaufnahme um 50 Franken zu erhöhen. Die zweite Variante ist einschneidender und sieht eine Erhöhung der Kostenbeteiligung in Form eines Zuschlags von 50 Franken vor, der bereits vor Erreichen des jährlichen Höchstbetrags des Selbstbehalts fällig würde. Nach Kenntnisnahme eines Berichtes des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), welcher die Unterschiede der beiden Varianten und namentlich deren Auswirkungen auf die Versicherten darlegt, hat sich die Kommission mit 13 zu 12 Stimmen für die erste Variante ausgesprochen. Die zweite Variante wird als Minderheitsantrag ebenfalls in die Vernehmlassung geschickt.
In beiden Varianten ist vorgesehen, Kinder, Schwangere und Personen, die sich auf schriftliche Zuweisung einer Ärztin, eines Arztes, eines Zentrums für Telemedizin, einer Apothekerin oder eines Apothekers in die Spitalnotfallaufnahme begeben, von der Regelung auszunehmen. Zudem beantragt die Kommission, die Einführung dieser Massnahme den Kantonen zu überlassen. In der Gesamtabstimmung hat die Kommission ihren Vorentwurf mit 13 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung angenommen. Eine Minderheit beantragt, nicht auf den Entwurf einzutreten.
Die Vernehmlassung wird im dritten Quartal 2024 eröffnet, sobald die Kommission auch ihren erläuternden Bericht verabschiedet hat.
Änderungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung
Die Kommission hat in der Gesamtabstimmung einstimmig die Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG; 23.084) angenommen und ist somit dem Entscheid des Ständerates gefolgt. Mit dieser Änderung soll die Effizienz des Entschädigungssystems für die Verwaltungskosten der Arbeitslosenkassen (ALK) erhöht werden, indem die pauschale Entschädigung abgeschafft und ein Bonus-Malus-System eingeführt wird. Effiziente ALK erhalten einen Bonus, sehr ineffiziente ALK müssen einen Teil der Kosten selbst tragen. Zudem erhöht die Revision die Transparenz des Systems, indem im Gesetz verankert wird, dass die Ausgleichsstelle der Arbeitslosenversicherung jährlich die Kennzahlen zu den Verwaltungskosten der ALK veröffentlichen muss.
In einem Mitbericht an die Finanzkommission unterstützt die SGK-N zudem mit 16 zu 9 Stimmen den Antrag des Bundesrates, den Bundesbeitrag an die Arbeitslosenversicherung (ALV) im Rahmen des Bundesgesetzes über die Massnahmen zur Entlastung des Haushaltes ab 2025 (24.016) in den Jahren 2025 bis 2029 um insgesamt 1,25 Milliarden Franken zu kürzen. Die Kürzung kann ohne Auswirkungen auf die Leistungen der ALV umgesetzt werden und ist für die Kommission angesichts der hohen ausserordentlichen Beiträge des Bundes im Rahmen der Covid-Pandemie vertretbar. Eine Minderheit der Kommission spricht sich gegen die Kürzung des Bundesbeitrages aus, da die Reserven der ALV den Versicherten gehörten und damit eine Reduktion der Beiträge für Arbeitnehmende und Arbeitgebende verzögert würde.
Entschädigungen für leitende Organe der Krankenkassen begrenzen und weitere Schritte zu mehr Transparenz prüfen
Die Kommission hat sich mit der Umsetzung der pa. Iv. Hurni. Keine überhöhten Entschädigungen für die leitenden Organe von Krankenkassen zulasten der Versicherten (21.453) befasst. Die Kommission sieht weiterhin Handlungsbedarf und hat mit 17 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung die Verwaltung beauftragt, einen Vorentwurf auszuarbeiten, der Höchstentschädigungen für Mitglieder der leitenden Organe von Krankenkassen, welche Versicherungen nach KVG anbieten, vorsieht. Zudem möchte sie weitergehende Transparenzbestimmungen im Bereich der Zusatzversicherungen und eine Trennung der Krankenversicherungen in separate Rechtsträger für den obligatorischen und den Zusatzversicherungsbereich prüfen. Sie wird ihre Arbeiten voraussichtlich im vierten Quartal fortführen.
Anreize für geeignete Arzneimittelpackungen schaffen
Die Kommission hat mit 15 zu 9 Stimmen eine Motion verabschiedet, die verlangt, den Verwurf aufgrund von ungeeigneten Packungsgrössen oder Dosisstärken bei den Medikamentenpreisen zu berücksichtigen (24.3397). Mit dieser Motion will die Kommission den Bundesrat beauftragen, die rechtlichen Grundlagen dahingehend anzupassen, dass dieser Verwurf bei der Preisfestsetzung oder bei der Rückerstattung vollumfänglich einbezogen wird. Zudem sollen Dritte in einem solchen Fall einen Antrag auf Überprüfung einreichen können und Medizinalpersonen besser geeignete Packungsgrössen aus dem Ausland importieren dürfen, wenn es diese nur dort gibt. Die Motion übernimmt das Anliegen der pa. Iv. Crottaz. Änderung der gesetzlichen Grundlagen, sodass Swissmedic Dosierungen und Packungen von Arzneimitteln auch dann auf die Spezialitätenliste setzen kann, wenn das Gesuch nicht vom Hersteller stammt (19.508), welche die Kommission mit 16 zu 7 Stimmen zur Abschreibung beantragt.
Datenaustausch und Risikoausgleich:Kommission nähert sich Ständerat an
Die Kommission hat die Beratungen zur Differenzbereinigung beim Entwurf der KVG-Revision betreffend Datenaustausch und Risikoausgleich (23.048) aufgenommen. Sie beantragt einstimmig, dem Ständerat zu folgen und die Sistierung der Versicherungspflicht für Phantomversicherte vollständig im Gesetz zu verankern und gleichzeitig eine redaktionelle Präzisierung vorzunehmen. Die Kommission beantragt zudem mit 14 zu 10 Stimmen, auf eine neue Verpflichtung zur Erhebung der Nationalität der von Prämienverbilligungen Begünstigten im KVG zu verzichten, und schliesst sich damit dem Ständerat an (Art. 65 Abs. 6). Sie bittet die Verwaltung aber um zusätzliche Klarstellungen zur Aufnahme der Verpflichtung, beim Bezug von Leistungen der Krankenpflegeversicherung Daten zur Nationalität zu erheben (Art. 23 Abs. 1bis). Die Kommission wird an ihrer nächsten Sitzung über diese Differenz befinden.
Weitere Geschäfte
Die Kommission liess sich über die Vorlage zur Reform der Witwen- und Witwerrente der AHV informieren, die der Bundesrat bis Ende März in die Vernehmlassung geschickt hatte und voraussichtlich bis Ende Herbst an das Parlament überweisen wird. Aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen ist für die Kommission eine Reform klar dringend, sie verzichtet aber auf eine parallele Ausarbeitung einer Gesetzvorlage in Umsetzung der pa. Iv. SGK-NR. Gleichstellung von Witwen und Witwern(22.426) und der pa. Iv. Gredig. Ungleichbehandlung bei den Hinterlassenenleistungen beseitigen (21.416), denen sowohl sie als auch die Schwesterkommission Folge gegeben hatten. Im Bestreben einer umfassenden Reform beantragt sie dem Nationalrat mit 13 zu 12 Stimmen, der pa. Iv. Kamerzin. Gleichstellung von Witwen und Witwern, sobald das letzte Kind die Volljährigkeit erreicht (21.511) weiterhin Folge zu geben.
Die Kommission hat sich erneut mit der pa. Iv. Dobler. Die Kosten der ärztlichen Beratungen im Zusammenhang mit einer Patientenverfügung sollen von der Krankenversicherung übernommen werden (22.420) befasst, nachdem ihre ständerätliche Schwesterkommission dem Folgegeben nicht zugestimmt hatte. Die Kommission hält mit 12 zu 9 Stimmen bei 3 Enthaltungen an ihrem Beschluss fest und beantragt dem Nationalrat, der Initiative Folge zu geben.
Mit 17 zu 6 Stimmen bei 1 Enthaltung beantragt die Kommission, die Mo. Gysin Greta. Vaterschaftsurlaub auch beim Tod des ungeborenen Kindes (21.3734) in geänderter Form anzunehmen. Sie stimmt damit der Präzisierung des Ständerates zu, wonach der Vaterschaftsurlaub auch gewährt werden soll, wenn das Kind in den 14 Tagen nach der Geburt stirbt. Zudem soll der Urlaub am Stück ab dem Tag des Todes bezogen werden müssen, wobei bereits bezogene Tage abgezogen werden.
Die Kommission hat die Beratungen zur Mo. (Kuprecht) Friedli Esther. Sozialversicherung. Umfassende und einheitliche Rechtsgrundlage für das elektronische Verfahren schaffen (eATSG; 23.4041) aufgenommen. Sie will an der nächsten Sitzung den Vorschlag «eATSG» vertieft prüfen, etwa in Bezug auf die Interoperabilität mit anderen Systemen und die Auswirkungen auf die verschiedenen Versicherungsträger, bevor sie über die Motion Beschluss fasst.
Bevor die Kommission über die Mo. Ettlin Erich. Halbjährliches Monitoring zur Umsetzung des Anordnungsmodells (23.4153) entscheidet, möchte sie zunächst den ersten Monitoringbericht über die Umsetzung des Anordnungsmodells im Bereich der psychologischen Psychotherapie abwarten.
Mit 13 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung hat die Kommission die Motion Versorgungssicherheit der Kinder- und Jugendpsychiatrie (24.3398) beschlossen. Sie nimmt damit den Kern des Anliegens der Kt. Iv. SO. Versorgungssicherheit der Kinder- und Jugendpsychiatrie (23.309) auf und beantragt mit 15 zu 8 Stimmen, der Standesinitiative keine Folge zu geben.
Die Kommission liess sich zu den Ausführungsbestimmungen zur Umsetzung der ersten Etappe der Pflegeinitiative konsultieren und über den aktuellen Stand bei der Umsetzung der zweiten Etappe informieren. Sie empfiehlt dem Bundesrat, in der Verordnung zu präzisieren, dass die kantonalen Ausbildungsbeiträge den Lebensunterhalt der Studierenden sichern müssen, wie das auch das Bundesgesetz vorsieht. Ansonsten befürwortet sie die Änderungen, welche die Verwaltung aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse an den Verordnungsentwürfen vorgenommen hat. Die Verordnungen sollen rasch in Kraft gesetzt werden, damit die Ausbildungsoffensive ab Sommer 2024 starten kann. Die Kommission erwartet von den Kantonen, dass sie ihre Arbeiten auch entsprechend vorantreiben.
Die Kommission hat sich über die Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern zur Anpassung der Tarifstruktur für ambulante Physiotherapieleistungen informieren lassen. Sie wird sich Ende des Jahres erneut mit dem Stand der Arbeiten befassen.
Mit 14 zu 9 Stimmen hat sie zudem beschlossen, ein Schreiben an den Bundesrat zu richten, in dem sie ein stärkeres Engagement für Menschen mit Long Covid fordert.
Die Kommission tagte vom 11. bis 12. April 2024 in Bern unter der Leitung von Nationalrätin Barbara Gysi (SP, SG) und teilweise in Anwesenheit von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider und Bundesrat Guy Parmelin.