Der Nationalrat in Kürze
(sda) GESUNDHEIT I: Wissenschaftliche Studien zu Cannabis sollen nach Ansicht des Nationalrats ebenso wenig erlaubt werden wie Cannabis selber. Die grosse Kammer hat einen Vorstoss für eine Lockerung im Umgang mit Cannabis mit 96 zu 93 Stimmen bei 2 Enthaltungen abgelehnt. Die Fraktionen von SVP und CVP sagten am Montag Nein zu einer vom Ständerat gutgeheissenen Motion von Roberto Zanetti (SP/SO) und beerdigten das Geschäft. Mit diesem sollte ein Experimentierartikel im Betäubungsmittelgesetz verankert werden, um Versuche zur regulierten Abgabe von Cannabis zu ermöglichen. Die Gegner lehnten die Motion ab, weil sie darin eine Liberalisierung des Cannabiskonsums durch die Hintertüre sehen.
GESUNDHEIT II: Der Bundesrat soll im Gesundheitswesen eine eidgenössische Qualitätskommission einsetzen. Das hat der Nationalrat bei der Beratung einer Gesetzesvorlage beschlossen, welche die Qualität und Wirtschaftlichkeit verbessern soll. Mit 159 zu 24 Stimmen bei 4 Enthaltungen stimmte die grosse Kammer einem überarbeiteten Konzept ihrer vorberatenden Gesundheitskommission zu. Konkret soll eine eidgenössische Qualitätskommission geschaffen werden - in Form einer Stiftung oder einer ausserparlamentarischen Kommission. Im Ständerat fand die Mehrheit im Sommer 2016, die Vorlage sei unnötig, der Bund habe bereits genügend Instrumente zur Qualitätssicherung. Tritt die kleine Kammer ein zweites Mal nicht auf das Gesetzesprojekt ein, ist dieses vom Tisch.
ALTERSVORSORGE Der Mindestumwandlungssatz zur Berechnung der Renten in der beruflichen Vorsorge soll künftig nicht mehr im Gesetz verankert sein, sondern nach einer Formel berechnet werden. Das gilt auch für den Mindestzinssatz. Der Nationalrat hält an diesem Anliegen fest. Mit 127 zu 55 Stimmen bei 5 Enthaltungen hat es der Rat abgelehnt, eine Motion seiner Sozialkommission zu sistieren. Zur Diskussion stand auch eine parlamentarische Initiative mit ähnlichem Inhalt. Diese nahm der Nationalrat mit 127 zu 59 Stimmen bei 3 Enthaltungen an. Der Ständerat hatte die Motion auf Eis legen wollen, weil er der nächsten Rentenreform nicht vorgreifen möchte. Im Nationalrat befand die bürgerliche Mehrheit, es brauche dringend eine Korrektur.
SOZIALVERSICHERUNGEN: Der Nationalrat hat als Erstrat Sozialversicherungsabkommen mit Serbien und Montenegro gutgeheissen. Diese koordinieren die AHV und IV der Vertragsstaaten und regeln die Auszahlung von Renten ins Ausland. Der Rat stimmte den Abkommen mit 122 zu 67 Stimmen zu. Diese wurden bereits 2010 und 2011 unterzeichnet. Sie entsprechen laut dem Bundesrat den in letzter Zeit von der Schweiz abgeschlossenen Vereinbarungen und den internationalen Standards. Die Abkommen treten erst in Kraft, wenn die Parlamente in den jeweiligen Staaten sie genehmigt haben. In Serbien und Montenegro ist dieser Schritt bereits erfolgt, in der Schweiz muss noch der Ständerat zustimmen.
BUNDESGERICHT: Der Nationalrat hat Kenntnis genommen vom Geschäftsbericht des Bundesgerichtes. Kommissionssprecherin Corina Eichenberger (FDP/AG) wies auf die steigenden Fallzahlen hin. Diese Entwicklung stehe in klarem Zusammenhang mit der neuen Strafprozessordnung. Mehr Entscheide könnten angefochten werden. Die Zahl der Geschäfte erreichte 2017 beim Bundesgericht einen Höchststand. 8029 neue Beschwerden wurden nach Lausanne gesandt, 3,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Bundesgericht erledigte 7782 Fälle. Das 2007 in Kraft gesetzte Bundesgerichtsgesetz hätte eine Entlastung bringen sollen. Dieses Ziel sei leider nicht erreicht worden, sagte Eichenberger. Eine Gesetzesrevision ist geplant.
AUSWEISE: Geburtsdatum 00.00.xxxx: Wer in seinem Ausweis kein Geburtsdatum hat, stösst mitunter auf Schwierigkeiten, etwa auf der Bank oder am Postschalter. Der Bundesrat will das Problem angehen, wie er in der Antwort auf eine Frage aus dem Nationalrat ausführte. Die geltende EJPD-Ausweisverordnung sieht vor, dass Ziffern durch Nullen ersetzt werden, wenn Tag oder Monat der Geburt nicht festzustellen sind. Neu sollen Ausweise mit einem konkreten Geburtsdatum ausgegeben werden, auch für Menschen, bei denen lediglich das Geburtsjahr im Zivilstandsregister eingetragen ist.
VEREIDIGUNG: Der Wädenswiler Stadtpräsident und CVP-Kantonsrat Philipp Kutter ist neuer Zürcher Nationalrat für die CVP. Der Nachfolger der zurückgetretenen Barbara Schmid-Federer wurde am Montag unter der Bundeshauskuppel vereidigt. Der 42-Jährige freut sich auf sein neues Amt, wie er bei Bekanntwerden seiner Nachfolge über den Kurznachrichtendienst Twitter mitgeteilt hatte. Er wolle im Nationalrat "eine Stimme der urbanen Schweiz" sein und sich für "Freiheit" und "Solidarität mit den Schwächsten" einsetzen, hatte er geschrieben. Schmid-Federer war auf den 7. Juni aus dem Nationalrat zurückgetreten. Sie wurde am vergangenen Donnerstag mit Applaus verabschiedet.
Völkerrecht - Nationalrat lehnt Selbstbestimmungsinitiative nach Redemarathon ab
(sda) Das Parlament empfiehlt dem Stimmvolk, die Selbstbestimmungsinitiative der SVP abzulehnen. Der Nationalrat fällte seinen Entscheid am späten Montagabend. Insgesamt dauerte die Debatte rund neun Stunden.
Um 23.35 Uhr schritt der Rat zur Abstimmung - und verwarf die Initiative mit 127 zu 67 Stimmen. Ausser der SVP stellten sich alle Fraktionen gegen die Initiative.
Die Initianten wollen, dass Volksinitiativen umgesetzt werden, auch wenn sie gegen internationales Recht verstossen. Sie verlangen, dass die Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht immer Vorrang hat - unter dem Vorbehalt weniger zwingender Bestimmungen.
Völkerrechtliche Verträge, die der Verfassung widersprechen, müsste die Schweiz neu verhandeln und nötigenfalls kündigen. Zudem wären für das Bundesgericht nur noch jene Verträge massgebend, die dem Referendum unterstanden.
Ohne Rechtsstaat keine Demokratie
Aus Sicht der Gegnerinnen und Gegner geriete damit das Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaat aus den Fugen. Ein starker Rechtsstaat sei die Voraussetzung für eine starke Demokratie, lautete der Tenor. Die Initianten wollten die Grundrechte ausser Kraft setzen. Damit drohe eine Willkürherrschaft der Mehrheit.
Ein Ja zur Initiative hätte die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zur Folge, hiess es. Diese aber gebe den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, sich notfalls gegen den Staat zu wehren. Fabian Molina (SP/ZH) nannte als Beispiel ein Asbest-Opfer. Viele Rednerinnen und Redner warnten auch davor, dass die Schweiz nicht mehr als verlässlicher Vertragspartner gälte, wenn sie sich zum Vertragsbruch ermächtigen würde.
Drohender Untergang
Die SVP-Vertreter warnten ihrerseits vor einer schleichenden Entmachtung des Volkes. Laut Magdalena Martullo (SVP/GR) droht der Untergang der Schweiz. Toni Brunner (SVP/SG) stellte fest, das Volk habe zwar nicht immer Recht, aber die Mehrheit bestimme. Mehrere Redner zählten missliebige Urteile der Strassburger Richter auf, etwa zu Ausschaffungen.
Bis 2012 habe faktisch der Vorrang des Landesrechts gegolten, argumentierten die SVP-Vertreter. Nun wende das Bundesgericht die Schubert-Praxis nicht mehr an. Diese besagt, dass Völkerrecht grundsätzlich dem Landesrecht vorgeht - ausser das Parlament erlässt bewusst ein völkerrechtswidriges Gesetz. Internationale Menschenrechtsgarantien gehen dem Landesrecht allerdings vor.
Unnötiges Korsett
Justizministerin Simonetta Sommaruga stellte in Abrede, dass das Bundesgericht die Schubert-Praxis seit 2012 nicht mehr anwende. "Ich weiss nicht, wie Sie darauf kommen", sagte sie. Mit dieser Praxis habe das Bundesgericht einen Weg gefunden, wie es im Einzelfall vom Völkerrecht abweichen könne. Die Initiative verlange nun, dass das Völkerrecht im Falle eines Konfliktes mit Landesrecht nicht mehr zähle.
"Damit zwängen wir uns ohne Not in ein Korsett, ohne das wir bis heute bestens gefahren sind", sagte Sommaruga. Die Kündigung des Vertrages sei vielleicht in einem Fall die beste Lösung, in einem anderen Fall gebe es möglicherweise bessere. Die Selbstbestimmungsinitiative kenne nur schwarz oder weiss. Sie sei das Gegenteil von dem, was die Schweiz ausmache. Ausserdem sei die Initiative widersprüchlich formuliert. Sie kläre nicht, was sie zu klären vorgebe.
Grosses Redebedürfnis
Insgesamt wollten sich 83 Ratsmitglieder zum Thema äussern, wobei manche am Ende verzichteten. Die Debatte, die in der ersten Sessionswoche begonnen hatte, zog sich auch wegen der vielen Fragen in die Länge. In der ersten Runde stellten sich SVP-Vertreter vor allem gegenseitig Fragen, was der Partei den Vorwurf des Filibusterns eintrug.
Die SP kritisierte, der SVP gehe es einzig darum, die Abstimmung über die Initiative zu verzögern, damit diese möglichst nahe an den Wahlen 2019 stattfinde. Vor der letzten Runde lancierte die SP einen Aufruf, für jede Minute Verzögerung zwei Franken an die Kampagne gegen die Initiative zu spenden. Laut Molina kamen rund 40'000 Franken zusammen.
Mikrofon abgestellt
In der dritten Runde sorgte für Aufregung, dass SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (ZG) zu Beginn die Feststellung des Quorums verlangte. Der Rat ist nur verhandlungsfähig, wenn mindestens 101 Mitglieder anwesend sind. Den "anwesend"-Knopf drückten 125 Mitglieder.
Toni Brunner (SVP/SG) kritisierte, dass der Ratspräsident den Nationalrätinnen und Nationalräten fünf Minuten gegeben hatte, um in den Saal zu eilen. Ratspräsident Dominique de Buman (CVP/FR) wiederum liess Brunner das Mikrofon abstellen, weil er der Aufforderung nicht nachkam, auf eine Frage kurz zu antworten.
Die kürzeste Rede hielt Kathy Riklin (CVP/ZH). Sie werde sich mit allen Kräften gegen diese Initiative einsetzen, sagte sie. Nun kann das Stimmvolk kann über die Initiative "Schweizer Recht statt fremde Richter" urteilen.
DER Ständerat in Kürze
(sda) FLÜCHTLINGE I: Reist ein Flüchtling in seinen Heimat- oder Herkunftsstaat, soll ihm die Flüchtlingseigenschaft einfacher aberkannt werden können. Der Ständerat hat sich am Montag für eine Umkehr der Beweislast ausgesprochen, wie sie der Bundesrat vorschlägt. Künftig sollen nicht mehr die Behörden beweisen müssen, dass der Flüchtling eine unzulässige Reise unternommen hat. Vielmehr soll der Flüchtling glaubhaft machen müssen, dass die Reise aufgrund eines Zwangs erfolgte. Die kleine Kammer hiess diese Änderung des Ausländergesetzes mit 30 zu 2 Stimmen bei 11 Enthaltungen gut. Sie will aber noch einen Schritt weitergehen als der Bundesrat: Nach ihrem Willen soll das SEM anerkannten Flüchtlingen verbieten können, in die Nachbarstaaten ihrer Heimatländer und in bestimmte Transitländer zu reisen. Nun ist der Nationalrat am Zug.
FLÜCHTLINGE II: Das Parlament erteilt dem Bundesrat den Auftrag, ein generelles Verbot von Heimatreisen für vorläufig Aufgenommene zu prüfen. Der Ständerat hat eine Motion aus dem Nationalrat gutgeheissen. Der ursprünglich von CVP-Präsident Gerhard Pfister (ZG) eingereichte Vorstoss verlangt, dass vorläufig Aufgenommenen - gleich wie anerkannten Flüchtlingen - das Reisen ins Heimatland generell verboten wird. Der Bundesrat war gegen die Motion. Die Reiseregelungen seien bereits sehr strikt, ein generelles Verbot wäre unverhältnismässig, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga. Sie zeigte sich aber bereit, "punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme" zu prüfen.
GEWALT: Opfer von häuslicher Gewalt und Stalking sollen besser geschützt werden. Stalkerinnen und Stalker sollen elektronisch überwacht werden können, damit ersichtlich wird, ob sie sich an Rayonverbote halten. Im Strafrecht sollen zudem neue Regeln zur Sistierung und Einstellung von Verfahren wegen häuslicher Gewalt verankert werden. Ob das Verfahren fortgeführt wird, soll nicht mehr allein vom geäusserten Willen des Opfers abhängen. Vielmehr sollen die Strafbehörden für den Entscheid verantwortlich sein. Der Ständerat hat als Erstrat ohne Gegenstimme Gesetzesänderungen dazu gutgeheissen.
LANDFRIEDENSBRUCH: Der Ständerat fordert für Landfriedensbruch zwingend eine Geldstrafe und eine Freiheitsstrafe. Er hat sich mit 21 zu 18 Stimmen für eine entsprechende Motion von Beat Rieder (CVP/VS) ausgesprochen, gegen den Willen des Bundesrates. Landfriedensbruch sei kein Bagatelldelikt, sagte Rieder und verwies auf Auseinandersetzungen unter gewaltbereiten Hooligans. Die Minderheit hielt dagegen, dass der vorgeschlageneStrafrahmen zu hoch sei für Mitläufer, die selbst keine Gewalttat verübten. Und es dürfe nicht sein, dass eine Person, die zufällig in eine gewalttätige Manifestation gerate, härter angegangen werde als jemand, der sich fahrlässiger Tötung schuldig mache.
INVESTITIONSSCHUTZ: Der Ständerat will wissen, mit welchen gesetzlichen Mitteln Industriestaaten Schlüsselindustrien und kritische Infrastrukturen vor ausländischen Übernahmen schützen. Das Schweizerische Institut für Rechtsvergleichung soll sich der Frage annehmen. Der Ständerat hat dazu ein Postulat von Hans Stöckli (SP/BE) überwiesen. Vergangene Woche hatte der Ständerat bereits eine Diskussion geführt zu Investitionskontrollen und dazu ein erstes Postulat überwiesen. Eine Kommission prüft zudem eine Motion, die Investitionskontrollen und eine Genehmigungsbehörde verlangt.
KONKUBINAT: Der Bundesrat wird beauftragt, eine Übersicht über die verschiedenen Definitionen und Rechtsfolgen des Konkubinats zu erstellen. Der Ständerat hat ein entsprechendes Postulat von Andrea Caroni (FDP/AR) überwiesen. Das geltende Recht knüpfe zahlreiche Rechtsfolgen an das Vorliegen eines Konkubinats, argumentierte Caroni. Der jeweilige Konkubinats-Gebiet variiere allerdings von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet. Mit Blick auf laufende familienpolitische Diskussionen wie etwa über die "Ehe für alle" sei eine solche Grundlagenarbeit wichtig. Die Übersicht soll das Recht des Bundes und soweit möglich auch das Recht der Kantone beleuchten. Der Bundesrat sprach sich für das Anliegen aus.