Die Ratsmitglieder sind verpflichtet, an den Sitzungen der Räte und der Kommissionen ​teilzunehmen (Art. 10 ParlG).

I. Anwesenheitskontrolle

Im Nationalrat wird die Anwesenheit durch die Unterschrift in der Präsenzliste bezeugt (Art. 40 Abs. 1 GRN), im Ständerat erfolgt nach Sitzungsbeginn ein Appell (Art. 32 Abs. 1 GRS) und in den Kommissionen wird die Präsenz der Mitglieder durch das Kommissionssekretariat geprüft und auf einer Präsenzliste erfasst.

II. Entschuldigte Ratsmitglieder

Entschuldigungen für Ratssitzungen werden dem Ratssekretariat vor der Sitzung mitgeteilt. Ist ein Ratsmitglied au​fgrund eines Auftrages einer ständigen Delegation gemäss Artikel ​60 ParlG, wegen Krankheit, Unfall, Todesfall im engen Familienkreis oder Mutterschaft oder Vaterschaft abwesend, wird es auf den online publizierten Abstimmungsprotokollen (sog. «Namenslisten») als entschuldigt aufgeführt (Art. 57 Abs. 4 Bst. e GRN; Art. 44a Abs. 6 GRS).

Die volle Wahrheit zum halbleeren Saal

Eine Rednerin spricht, aber niemand hört zu und der Saal ist halbleer. Ein Bild, über das sich viele Menschen vor dem Bildschirm ärgern.

Ein halbleerer Saal bedeutet jedoch nicht, dass die Ratsmitglieder ihre Arbeit nicht ernst nehmen. Auch wenn die Ratsmitglieder nicht im Ratssaal sind, so sind doch die Allermeisten im Parlamentsgebäude und durchaus aktiv. Ein Ratsmitglied, das pausenlos im Rat sässe, würde seine Aufgabe nur zum Teil wahrnehmen. Denn es hat während der Session zahlreiche weitere Verpflichtungen: Es nimmt an Fraktions- und Kommissionssitzungen teil; stellt sich den Fragen der Medien; schreibt das nächste Votum oder einen Antrag; kümmert sich um Besuchergruppen, erledigt die Post und hat Besprechungen mit Bundesräten oder Angestellten des Bundes. Zu beachten gilt auch, dass in einem Milizsystem, in dem die Ratsmitglieder neben dem Parlamentsmandat auch berufliche Verpflichtungen haben, Absenzen kaum zu vermeiden sind.

Die volle Wahrheit zum halbleeren Saal (PDF)

III. Stellvertretung

Ein Ratsmitglied kann sich in Ratssitzungen nicht vertreten lassen. Die Stellvertretung für eine Kommissionssitzung ist hingegen möglich. Absenzen von nationalrätlichen Kommissionssitzungen werden der jeweiligen Fraktion gemeldet, die dann bestimmt, wer das Ratsmitglied an der Sitzung vertritt (Art. 18 Abs. 1 GRN). Im Ständerat bestimmt das Ratsmitglied seine Vertretung selbst.

  • Die Mitglieder der Geschäftsprüfungskommissionen und einer parlamentarischen Untersuchungskommission sowie von deren Subkommissionen können sich nicht vertreten lassen (Art. 18 Abs. 4 GRN; Art. 14 Abs. 4 GRS).
  • Die Stellvertretung in Subkommissionen (mit Ausnahme der Subkommissionen der Finanzkommissionen) ist nur durch ein Mitglied der Plenarkommission möglich (Art. 18 Abs. 3bis GRN; Art. 14. Abs. 5 GRS).
  • Die Mitglieder der Immunitätskommission des Nationalrates und der Finanzdelegation haben ständige Stellvertreter (Art. 13a Abs. 2 GRN).
  • Für die meisten international tätigen parlamentarischen Delegationen werden neben den Mitgliedern auch noch Ersatzmitglieder bestimmt, wobei sich die Mitglieder​ nur durch die Ersatzmitglieder vertreten lassen können (Art. 6 f. VPiB).

IV. Virtuelle Teilnahme

IV.1. Virtuelle Teilnahme an physischen Ratssitzungen

Ein Rat kann beschliessen, die virtuelle Teilnahme einzelner Ratsmitglieder an Ratssitzungen zu ermöglichen, wenn Ereignisse eintreten, die mehreren Ratsmitgliedern die physische Teilnahme an Ratssitzungen verunmöglichen könnten. Voraussetzung dafür ist, dass das Quorum durch die physisch anwesenden Ratsmitglieder erreicht wird (Art. 10a Abs. 1 ParlG).

Ein Ratsmitglied kann nur dann virtuell an den Ratssitzungen teilnehmen, wenn es im Rahmen dieser Ereignisse aufgrund einer behördlichen Anordnung oder weil ein Fall höherer Gewalt vorliegt, an der physischen Teilnahme gehindert wird. Es hat die Ratspräsidentin oder den Ratspräsidenten rechtzeitig zu informieren (Art. 10a Abs. 2 ParlG).

Die virtuell teilnehmenden Ratsmitglieder haben die gleichen Rechte wie die physisch teilnehmenden Ratsmitglieder. Die Teilnahme an Wahlen und geheimen Beratungen ist jedoch ausgeschlossen (Art. 10a Abs. 3 ParlG).

Der Rat und die Öffentlichkeit werden darüber informiert, welche Ratsmitglieder zu den Sitzungen virtuell zugeschaltet sind (Art. 10a Abs. 4 ParlG).

IV.2. Virtuelle Ratssitzungen

Die Bestimmungen über die Durchführung von virtuellen Ratssitzungen (Art. 32a ParlG) sind noch nicht in Kraft. In naher Zukunft wird das Büro eines Rates beschliessen können, einzelne Ratssitzungen virtuell durchzuführen, wenn ein physisches Zusammentreten nicht möglich ist; anderslautende Beschlüsse des Rates bleiben vorbehalten. Die virtuelle Durchführung von Wahlen und geheimen Beratungen ist jedoch ausgeschlossen.

IV.3. Virtuelle Teilnahme an physischen Kommissionssitzungen

Einzig Kommissionsmitglieder, für welche die Stellvertretung rechtlich nicht möglich ist, können zu einer physisch stattfindenden Kommissionssitzung virtuell zugeschaltet werden (Art. 45b Abs. 1 ParlG).

IV.4. Virtuelle Kommissionssitzungen

Die Kommissionen können ihre Sitzungen virtuell durchführen, wenn (Art. 45b Abs. 1 ParlG):

  • ein physisches Zusammentreten verunmöglicht ist; oder
  • dringende Entscheide oder Entscheide zum Vorgehen zu fällen sind.

Eine Sitzung kann nur dann virtuell durchgeführt werden, wenn die Präsidentin oder der Präsident und die Mehrheit der Kommissionsmitglieder im Zirkularverfahren zugestimmt haben (Art. 45b Abs. 2 ParlG).

Historisches

​​​Nationalrat

Ursprünglich wurde auch im Nationalrat nach Sitzungsbeginn ein Namensaufruf durchgeführt. 1930 wurde der Namensaufruf versuchsweise durch eine Präsenzliste ersetzt. Seit 1946 schreibt das Geschäftsreglement des Nationalrates vor, dass sich die Ratsmitglieder in die Präsenzliste einzutragen haben.

Um die Einhaltung der Hygieneregeln im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie zu gewährleisten, beschloss der Nationalrat zu Beginn der ausserordentlichen Session im Mai 2020 in der BERNEXPO, dass die Präsenzliste ​bis zur Rückkehr ins Parlamentsgebäude vom Generalsekretär geführt wird (20.409).

​​​Nationalrat

​Der Nationalrat stimmt seit 1994 elektronisch ab. Seit der Wintersession 2003 werden Nationalratsmitglieder, die aufgrund eines Auftrages einer ständigen Delegation gemäss Artikel 60 des Parlamentsgesetzes nicht an der Ratssitzung teilnehmen können, im Protokoll und auf den Namenslisten zu den Abstimmungen als entschuldigt aufgeführt (03.418). Seit der Wintersession 2010 gilt dies auch für Ratsmitglieder, welche wegen Mutterschaft, Unfall oder Krankheit abwesend sind (09.532). Abwesenheiten wegen eines Todesfalls im engen Familienkreis gelten wiederum seit der Wintersession 2014 als entschuldigt (20.437), Abwesenheiten wegen eines Vaterschaftsurlaubs ​gemäss Erwerbsersatzgesetz seit der Sommersession 2022 (20.437).

Ständerat

Der Ständerat seinerseits stimmt seit der Frühjahrssession 2014 elektronisch ab (11.490). Seither gelten die Mutterschaft, der Unfall und die Krankheit als Entschuldigungsgründe. Seit der Sommersession 2015 werden auch Abwesenheiten wegen eines Todesfalls im engen Familienkreis ​als entschuldigt aufgeführt; seither sind auch teilweise Abwesenheiten aufgrund eines Auftrages eines parlamentarischen Organes möglich (14.420). Ab 2025 wird eine Abwesenheit wegen eines Vaterschaftsurlaubs gemäss Erwerbsersatzgesetz auch im Ständerat als entschuldigt gelten (24.441).

Stimmabgabe in Abwesenheit (Nationalrat 2020-2022)

​​​​​​​​​​Am 11. Dezember 2020 wurde im Parlamentsgesetz festgeschrieben, dass Mitglieder des Nationalrates ihre Stimme in Abwesenheit abgeben können, falls sie sich aufgrund behördlicher Weisungen wegen Covid-19 in Isolation oder Quarantäne begeben müssen (20.483). Die abgegebenen Stimmen wurden im elektronischen Abstimmungssystem gleichzeitig mit der im Rat laufenden Abstimmung erfasst.

Die Bestimmung trat am 1. Oktober 2021 ausser Kraft, wurde jedoch auf den 18. Dezember 2021 wieder​ in Kraft gesetzt (21.066 / 22.046).

Auf den 3. Februar 2022 wurde die Quarantänepflicht und auf den 1. April 2022 die Isolationspflicht aufgehoben, so dass die Nationalratsmitglieder fortan nicht mehr von zu Hause aus abstimmen konnten, auch wenn sie positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Die Bestimmung trat sodann am 30. Juli 2024 ausser Kraft.​

Insgesamt stimmten von der Wintersession 2020 bis zur Frühjahrssession 2022 27 Ratsmitglieder in Abwesenheit ab: Während der Wintersession 2020 waren es zwei Mitglieder, während der Sondersession 2021 und der Sommersession 2021 je ein Mitglied, und während der Frühjahrssession 2022 23 Mitglieder.

Virtuelle Teilnahme an physischen Ratssitzungen / virtuelle Ratssitzungen

Die Voraussetzungen für die virtuelle Teilnahme an physisch stattfindenden Ratssitzungen und für die Durchführung von virtuellen Ratssitzungen wurden 2023 gesetzlich verankert (20.437 / 20.438​​). Die Bestimmungen über die virtuelle Teilnahme traten zu Beginn der Wintersession 2024 in Kraft; jene über die virtuellen Ratssitzungen werden zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft treten. ​​

Virtuelle Teilnahme an physischen Kommissionssitzungen / virtuelle Kommissionssitzungen 

Die Voraussetzungen für die virtuelle Teilnahme an physisch stattfindenden Kommissionssitzungen und für die Durchführung von virtuellen Kommissionssitzungen wurden 2023 im Gesetz festgeschrieben (20.437 / 20.438​​). Diese Möglichkeiten gab es bereits während der Corona-Pandemie 2020-2022; auch damals waren sie an restriktive Bedingungen geknüpft.

Bildquelle: KEYSTONE / Lukas Lehman