Verdacht auf Identitätsmissbrauch durch Verwendung eines Deepfake-Videos (25.190)
Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten stellte am 20. Februar 2025 ein Gesuch um Ermächtigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen Nationalrat Andreas Glarner wegen des Verdachts auf Identitätsmissbrauch (Art. 179decies StGB) und allenfalls auf Ehrverletzung (Art. 173 ff. StGB). Nationalrat Andreas Glarner hatte auf X und Instagram ein KI-generiertes Video (Deepfake) veröffentlicht, in dem Nationalrätin Sibel Arslan sich über «kriminelle Türken» äussert und zur Wahl der SVP aufruft. Es ist das erste Mal, dass sich die Kommission mit dem Einsatz von Deepfakes im Wahlkampf auseinandersetzen muss. Zudem könnte in diesem Fall auch erstmals der neu geschaffene Straftatbestand des Identitätsmissbrauchs zur Anwendung kommen.
Die Kommission teilt die Auffassung der IK-N (siehe Bericht der IK-N vom 2. Mai 2025) und anerkennt, dass politische Aktionen oder Äusserungen im Wahl- oder Abstimmungskampf in unmittelbarem Zusammenhang mit der amtlichen Stellung oder Tätigkeit des jeweiligen Ratsmitglieds stehen. Die Veröffentlichung des besagten Videos war im konkreten Fall eindeutig Teil des Wahlkampfes und belegt den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der amtlichen Stellung oder Tätigkeit und den Handlungen, die zum Verdacht auf Identitätsmissbrauch bzw. auf Ehrverletzung geführt haben. Die Kommission ist daher auf das Gesuch eingetreten.
Die Kommission ist wie die IK-N der Auffassung, dass es sich beim besagten Video nicht um einen harmlosen Scherz handelt. Darüber hinaus hält die Kommission fest, dass der neue Straftatbestand in Artikel 179decies StGB als Reaktion auf die technologischen Fortschritte eingeführt wurde, welche die Erstellung von gefälschtem Video- oder Audiomaterial erheblich erleichtern und sich deutlich von bisherigen Darstellungsformen wie Satire, Parodie oder Karikatur unterscheiden. Da sich die Problematik in Zukunft verschärfen dürfte, ist es aus Sicht der Kommission wichtig, die strafrechtliche Relevanz der Handlungen von Nationalrat Glarner und den rechtlichen Rahmen, der für die Verwendung von Deepfakes gilt, zu klären. Die Kommission anerkennt zwar die Bedeutung der Meinungsäusserungsfreiheit im öffentlichen Diskurs, ist aber der Auffassung, dass auch für diese Schranken gelten. Nur so könne die demokratische Meinungsbildung von zunehmenden Störungen durch die immer fortschreitenden Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz geschützt werden. Ein Tolerieren der Handlungen von Nationalrat Glarner könnte in den Augen der Kommission dazu führen, dass solche zunehmen und so dem demokratischen Diskurs schaden. Aus diesen Gründen hat die Kommission beschlossen, die Immunität von Nationalrat Glarner aufzuheben. Das parlamentarische Verfahren ist abgeschlossen und die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten kann somit ein Strafverfahren eröffnen.
Verdacht der Diskriminierung und des Aufrufs zu Hass durch Aussagen in den sozialen Netzwerken (24.195)
Die RK-S hat das Gesuch der Staatsanwaltschaft Bern um Aufhebung der Immunität von Nationalrat Glarner wegen seiner islamkritischen Aussagen auf social media zum zweiten Mal beraten (s. die Berichte der IK-N vom 18. November 2024, der RK-S vom 25. Februar 2025 und der IK-N vom 2. Mai 2025). Nachdem die IK-N die Differenz in der Eintretensfrage bereinigt hatte, indem sie sich der Position der RK-S angeschlossen war und auf das Gesuch eingetreten war, entschied sie, die Immunität von Nationalrat Andreas Glarner nicht aufzuheben (s. Bericht der IK-N vom 2. Mai 2025).
Da das Eintreten schon übereinstimmend beschlossen worden ist, hat die RK-S heute noch die Frage der Aufhebung der Immunität behandelt. Dabei hat sie bei der Abwägung vom öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung und dem institutionellen Interesse an der ungehinderten Mandatsausübung die Bedeutung der Meinungsäusserungsfreiheit von Parlamentarierinnen und Parlamentariern im politischen Diskurs in den Vordergrund gestellt. Nach Ansicht der Kommission ist die aktive Teilnahme an gesellschaftlichen Diskussionen ein Kernbestandteil des parlamentarischen Mandats. Darum überwiegt in Augen der Kommission das institutionelle Interesse, weshalb sie die Aufhebung der Immunität abgelehnt hat.
Damit liegen zwei übereinstimmende Beschlüsse von RK-S und IK-N vor, sodass die Ablehnung der Aufhebung der Immunität nun endgültig ist. Eine Strafverfolgung wegen der Aussagen von Nationalrat Glarner auf social media ist somit ausgeschlossen.