Seit Jahren werden im Parlamentsgebäude Massnahmen zur Barrierefreiheit umgesetzt. Nun hat das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) eine weitere Hürde aus dem Weg geräumt und den Podiumsbereich im Nationalratssaal rollstuhlgängig gemacht.

Das Parlamentsgebäude in Bern ist, wie die meisten historischen Gebäude, nicht rollstuhltauglich erbaut worden. Damit sich körperlich beinträchtige Ratsmitglieder und Besuchende im Gebäude dennoch frei bewegen können, haben die Parlamentsdienste in den letzten Jahren kontinuierlich bauliche Massnahmen veranlasst (siehe Infokasten).

Kürzlich ist nun der Bürobereich im Nationalratssaal - also auch das Präsidentenpult und das Pult des Vizepräsidenten oder der Vizepräsidentin– barrierefrei gemacht worden. Dafür wurden im Saal befahrbare Rampenzugänge und ein Hebelift eingebaut. Zusätzlich wurde mit den Bauarbeiten über die Kuppelhalle ein Zugang zu den Präsidentenplätzen sichergestellt.

Die Bauarbeiten haben zwischen der Herbst- und Wintersession 2020 begonnen und wurden dann zwischen der Wintersession 2020 und der Frühlingsession 2021 fertiggestellt. Die Projektleitung des Umbaus lag beim Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL), welches die Verantwortung für die Gebäude des Bundes hat; durchgeführt wurden die Arbeiten vom Architekturbüro Itten + Brechbühl AG. Den Auftrag erhalten hat das BBL von den Parlamentsdiensten, die als Stabstelle des Parlaments für die Nutzung des Parlamentsgebäudes zuständig sind.

Baustelle Rampe im Nationalsrat

Die neue rollstuhlgängige Auffahrt, die zum Rednerpult im Nationalratssaal führt.
Foto: Ressort P&P, Parlamentsdienste

Baustelle im Nationalsrat

Die Baustelle im Nationalratssaal wurde abgedeckt, damit keine Staubpartikel in den Saal gelangen konnten.
Bild: Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL)

Baustelle im Nationalsrat

Um Beschädigungen der Pulte zu vermeiden, wurde alles abgedeckt.
Bild: Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL)

Baustelle im Nationalsrat

Einbau des Hebebühnenlifts im Bereich des ersten Vizepräsidenten.
Bild: Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL)

Bauliche Massnahmen im Parlamentsgebäude

Von 2006 - 2008 erfuhr das Parlamentsgebäude erstmals in über 100 Jahren eine umfassende Sanierung. Während des Umbaus wurde ein Konzept zur hindernisfreien Erschliessung des Gebäudes umgesetzt. So hat das BBL einen Personenlift, der alle Stockwerke erschliesst sowie mehrere Rollstuhlhebebühnen und einen Treppenlift eingebaut. Zudem wurden die Sanitäranlagen und Telefonkabinen rollstuhlgängig gemacht und im Nationalratssaal und in einigen Sitzungszimmern bei der Audioanlage ein Zugang für eine Induktionsschlaufe für Hörbehinderte eingerichtet. Darüber hinaus hat das BBL den Besuchereingang auf der Südterrasse für Rollstuhlfahrer erschlossen. Im Jahr 2011 wurde der Ständeratssaal, wie zuvor bereits der Nationalratssaal, ebenfalls mit einer Induktionsanlage für Hörbehinderte und einem Treppenlift ausgestattet. Nachdem von Dezember 2020 bis Februar 2021 die Rednerpulte im Nationalratssaal rollstuhlgängig gemacht wurden, werden die selben Arbeiten ebenfalls bald im Ständeratssaal durchgeführt.  

Seit 2018 liegt für sehbehinderte Personen eine Broschüre über das Parlament in Brailleschrift auf. Im Frühling 2021 erscheint eine Audioapp mit Hörtouren im und ums Parlamentsgebäude (Medienmitteilung folgt). Die App wurde vom Verein «Zugang für alle» geprüft und gutheissen.

In der Schweiz leben gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) rund 250 000 Personen, die unter einer starken oder vollständigen permanenten Einschränkung des Seh-, Hör- Geh- oder Sprechvermögens leiden (Zahlen 2017). Das sind 3.6% der Bevölkerung. Falls man den Begriff «Behinderung» weiter fasst und ebenfalls leichtere Einschränkungen, wie das schlechte Sehen oder das Laufen am Stock dazuzählt, sind 13% der Gesamtbevölkerung von einer körperlichen Behinderung betroffen, welche vielen - oft älteren Personen ab 65 Jahren - den Alltag erschwert.

Die Rampen sind fertig im Nationalsrat

Die neuen Rampen ermöglichen den barrierefreien Zugang zu den vorderen Plätzen im Nationalratssaal.
Bild: Ressort I&R, Parlamentsdienste.

Kurzinterview mit Nationalrat Christian Lohr

Bis heute hat das Volk zwei Parlamentarier in den Rat gewählt, die im Rollstuhl sitzen resp. sassen. Der 2017 verstorbene freisinnige Marc Suter, der als 20-Jähriger einen schweren Unfall erlitt und von 1991 bis 2003 und 2007 im Nationalrat sass. Sowie Christian Lohr, der seit 2011 einen Sitz im Nationalrat innehat. Christian Lohr ist infolge einer Conterganschädigung ohne Arme und mit missgebildeten Beinen zur Welt gekommen.

Die Parlamentsdienste haben mit Christian Lohr über seine Erfahrungen im Parlamentsgebäude gesprochen.

Herr Nationalrat Lohr, wie erleben Sie das Parlamentsgebäude? Können Sie sich frei bewegen?

Ich erlebe kaum Barrieren im Bundeshaus, denn ich kann mich mit meinem elektrischen Rollstuhl frei bewegen. Teilweise sind die Räumlichkeiten etwas eng, zum Beispiel auf den Toiletten, aber dafür habe ich Verständnis, das soll keine Kritik sein.

Ich bin froh, dass es in den letzten Jahren grosse Verbesserungen gegeben hat, was ja nicht ganz einfach ist, da beim Umbau auch Rücksicht auf den Denkmalschutz genommen werden muss.

Welche Verbesserungen der letzten Jahre haben Ihnen besonders geholfen?

Beim Lift wurde eine tiefere, horizontale Bedienung mit Brailleschrift und akustischem Signal eingebaut. Sie bietet nicht nur mir, sondern Hör- und Sehbehinderten eine Möglichkeit, selbständig Lift zu fahren. Auch der Umbau der Toilettenanlagen war sehr hilfreich, denn er ermöglicht mir mehr Selbständigkeit.

Wie sieht Ihr Tag aus, wenn Sie nach Bern ins Parlamentsgebäude anreisen?

Ich reise mit dem öffentlichen Verkehr an und erhalte dabei etwas Hilfe von der SBB. Sobald ich vor dem Parlamentsgebäude bin, werde ich von den Sicherheitsleuten hineingelotst. Im Anschluss bewege ich mich frei durchs Haus. Ich bin eine Person, die ihre Bedürfnisse offen kommuniziert und frage auch ab und zu die Parlamentsweibelinnen und -weibel, aber auch Ratskolleginnen und –kollegen, wenn ich Hilfe brauche. Mein Ziel ist es, möglichst unkompliziert zu leben und zwischenmenschlich keine unnatürlichen Situationen entstehen zu lassen.

Inwiefern waren Sie beim aktuellen Umbau des Nationalratsaals beteiligt?

Meine Meinung wurde bereits bei verschiedenen Bauvorhaben miteinbezogen. Als Person mit einer Einschränkung kenne ich die Barrieren am besten und erkenne sie auch dort, wo andere sie vielleicht gar nicht vermuten. Kurz bevor die neue Rampe im Nationalratssaal fertig gestellt wurde, habe ich einen Test vor Ort durchführt, um zu sehen, ob alles so funktioniert, wie es sollte.

Ich bin in engem Kontakt mit den Betriebsverantwortlichen des Parlaments und habe generell das Gefühl, dass wir sehr gut miteinander kommunizieren. Das Verständnis für die Umsetzung der Barrierefreiheit im Bundeshaus ist stark gewachsen in den letzten Jahren. Ich fühle mich nicht trotz, sondern mit meiner Behinderung wohl im Parlamentsgebäude. So wohl, dass ich gerne noch ein wenig bleiben möchte (sagt es mit einem Lächeln).

Nationalrat Christian Lohr testet den neuen Hebelift zum Präsidentenpult.

Nationalrat Christian Lohr testet den neuen Hebelift zum Präsidentenpult.
Bild: Ressort P&P, Parlamentsdienste

Nationalrat Christian Lohr kann sich zum ersten Mal eigenständig zum Rednerpult bewegen.

Nationalrat Christian Lohr kann sich zum ersten Mal eigenständig zum Rednerpult bewegen.
Foto: Ressort P&P, Parlamentsdienste