Ihre Kommission hat sich intensiv über die aktuellen Massnahmen und Lockerungen des Bundesrates während der Corona-Krise unterhalten, teilweise auch gestritten. Sie schlägt Ihnen heute vor, mit einer Erklärung des Nationalrates den Bundesrat dringlich aufzufordern, seinen strategischen Fokus vermehrt auf das Impfen und Testen zu konzentrieren und weniger Verbote - das ist gleichbedeutend mit mehr Öffnungen - zu beschliessen.
Es ist der Kommissionsmehrheit durchaus bewusst, dass das Virus unseren Alltag bestimmt und sich nicht durch parlamentarische Vorstösse beeindrucken lässt. Die Mehrheit Ihrer Kommission weiss auch, dass neben der politischen auch eine wissenschaftliche Betrachtung der aktuellen Lage mindestens so wichtig ist. Aber die Mehrheit der Kommission steht der aktuellen Strategie des Bundesrates sehr kritisch gegenüber. Es geht dabei nicht einfach darum, einzelne Massnahmen als richtig oder falsch zu bezeichnen, sondern es geht primär um die Konsistenz der Massnahmen, um deren AB 2021 N 76 / BO 2021 N 76 Verständlichkeit, um deren Nachvollziehbarkeit und vor allem um deren Akzeptanz.
Man kann nicht durch eine Krise führen, ohne die betroffenen Menschen mitzunehmen. Wenn an die Geduld und Opferbereitschaft der Menschen appelliert wird, dann müssen diese Menschen verstehen können, warum sie jetzt auf etwas verzichten. Sie brauchen die Gewissheit, dass Geduld und Verzicht nach einer gewissen Zeit auch eine Wirkung erzielen. So haben die Menschen in diesem Land beispielsweise nicht verstanden, weshalb für die Bekämpfung des Virus auch diejenigen Läden geschlossen wurden, in denen gerade einmal eine Handvoll Kunden pro Tag einkehrt. Die Menschen in diesem Land haben nicht verstanden, weshalb geordnete, gut organisierte Sitzgelegenheiten auf den Terrassen in den Skigebieten aus epidemiologischer Sicht gefährlicher sein sollen als ein fahrlässiges Herumsitzen oder Herumstehen von zu grossen Gruppen im Schnee.
Das ist jetzt nicht einfach Stammtischpolemik, zumal die Stammtische ja zurzeit relativ schwer zugänglich sind. Auch die Kantonsregierungen haben wenig Verständnis für die Sturheit, die der Bundesrat genau in dieser Frage an den Tag gelegt hat. Auch das regelmässige Corona-Monitoring, welches Sotomo im Auftrag von SRF durchführt, hat im Januar gezeigt, dass namentlich diese beiden Massnahmen eine schlechte Akzeptanz hatten. Wenn der Bundesrat die Kantone konsultiert, um dann die Antworten zu ignorieren, und wenn der Bundesrat zahlreiche Briefe von parlamentarischen Kommissionen erhält und sie ignoriert, dann ist das eben nicht unbedingt die Perfektion eines partizipativen Führungsstils. Genau in einer Krise ist ein partizipativer Führungsstil aber der richtige Weg, um die Menschen, die von den Entscheiden betroffen sind, an Bord zu holen. Für den Erfolg der jeweiligen Massnahmen ist ihre Akzeptanz eine zentrale Grundvoraussetzung. Die Menschen nehmen auch täglich die Fallzahlen zur Kenntnis und entwickeln daraus ein zunehmendes Bedürfnis nach Lockerungen. Deshalb möchte die Mehrheit Ihrer Kommission den Bundesrat auffordern, die betroffenen Menschen bei seinen Massnahmen nicht zu vergessen.
Eine Minderheit der Kommission - sie wird sich äussern können - teilt die Forderungen der vorgeschlagenen Erklärung nicht. Sie warnt auch davor, in der Corona-Krise dem Bundesrat das Heft aus der Hand zu nehmen. Doch genau dies würden wir mit einer solchen Erklärung nicht tun. Für die Mehrheit Ihrer Kommission ist eine solche Erklärung des Nationalrates ein deutliches Zeichen, mit dem wir als Parlament, als Volksvertreterinnen und Volksvertreter, dem Bundesrat übermitteln, was wir von den Menschen draussen in diesem Land hören. Eine solche Erklärung wäre zweifellos ein deutlicheres Zeichen als die zahlreichen Briefe der verschiedenen Kommissionen.
Eine solche Erklärung wäre insbesondere auch eine konzeptionelle Alternative zum hier ebenfalls vorhandenen Wunsch, als Parlament Öffnungsschritte ins Gesetz zu schreiben und so den Bundesrat zu übersteuern. Dieser Weg über das Gesetz ist sehr umstritten, da wir damit eine institutionelle Grenze überschreiten würden.
Genau dies ist auch der Grund dafür, dass Ihnen Ihre Kommission mit dieser Erklärung eine Alternative anbieten möchte. Denn was wir als Parlament problemlos dürfen: Wir dürfen uns erklären, wir dürfen fordern, wir dürfen kritisieren. Wir müssen in diesem Saal den Ärger, die Unzufriedenheit der Menschen weitertransportieren, ihn hier zum Ausdruck bringen, ihn hier thematisieren.
Die Verabschiedung einer Erklärung, wie es Ihnen Ihre Kommission vorschlägt, gehört also durchaus zu den Aufgaben und Instrumenten eines Parlamentes. Wir sind hier Volksvertreterinnen und Volksvertreter. Wir müssen dem Bundesrat den Spiegel hinhalten, so deutlich wie möglich, aber ohne Vermischung der Rollenverteilung und ohne Verletzung der institutionellen Sorgfalt. Wir haben es übrigens bereits in der vergangenen Wintersession gemacht: Am 3. Dezember 2020 hat der Nationalrat eine Erklärung mit dem Titel "Keine schärferen Covid-Vorschriften für den Schweizer Wintersport" verabschiedet und damit die Offenhaltung der Skigebiete gefordert.
Eine Erklärung des Nationalrates ist also keineswegs ein Novum. Lassen Sie uns deshalb auch diesmal den Weg einer Erklärung des Nationalrates gehen! Es ist der richtige Weg mit den richtigen Signalen, mit deutlichen Signalen.